Für Karl Aberer, Vizepräsident der Ecole Polytechnique Federale de Lausanne (EPFL/ETH Lausanne), sind Online-Vorlesungen mehr als nur ein Modetrend. Diese werden künftig auch für Europas Unis immer wichtiger und zu einer Qualitätssteigerung in der Uni-Lehre insgesamt führen, meint Aberer, der heute, Mittwoch, Abend beim Club Research in Wien einen Vortrag über digitale Lehre hält.

"Das erzeugt natürlich einen gewissen Druck auf alle, dass die Qualität steigen muss."

Aberer ist an der EPFL für die Entwicklung von Massive Open Online Courses (MOOCs) zuständig, bei denen Lernwillige weltweit ohne finanzielle oder formelle Hürden speziell konzipierte Internet-Lehrveranstaltungen besuchen können. "Die MOOCs führen absolut zu einer Professionalisierung der Lehre, davon bin ich überzeugt", betont der Mathematiker und gebürtige Österreicher. Wenn ein Online-Kurs von bis zu 100.000 Studenten gesehen werde, werde die bisher im Versteckten ablaufende Lehre nämlich plötzlich sichtbar. "Das erzeugt natürlich einen gewissen Druck auf alle, dass die Qualität steigen muss."

Dazu komme, dass sich durch die zunehmend professionelle Unterstützung der Unis statt Einzelpersonen ganze Teams mit der Erstellung der Materialien für MOOCs beschäftigen. "Dadurch erreicht man natürlich sofort eine höhere Qualität." Bei Online-Kursen sei man außerdem nicht mehr auf das Bauchgefühl angewiesen, was gut funktioniert und was nicht, sondern habe Datenbelege.

Moderne und qualitätsvolle Lehre

Neben der Frage, wie moderne und qualitätsvolle Lehre auszusehen hat, haben MOOCs für Aberer auch die künftige Rolle der Universitäten an sich in Diskussion gebracht: Durch die höhere Mobilität der Studenten und kostenlose Angebote von hoher Qualität, die man zunehmend gegen eine gewisse Gebühr auch zertifizieren lassen kann, werde das Monopol der Hochschulen infrage gestellt. Diese werden zwar nicht verschwinden, immerhin müsse ja jemand die MOOCs erstellen, betont der Experte. Aber es werde künftig weniger Institutionen geben als jetzt.

So gebe es Prognosen des Massachusetts Institute of Technology (MIT), wonach in den nächsten zehn Jahren 30 Prozent der US-Unis verschwinden werden - denn wieso sollten Studenten Geld für die Ausbildung an einer drittklassigen Einrichtung ausgeben, wenn sie zum gleichen Preis eine erstklassige erhalten können? Nicht zu unterschätzen ist aus Aberers Sicht außerdem die Ökonomie der MOOCs: Einerseits seien zusätzliche Aufwendungen nötig, aber es gebe auch die Möglichkeit, auf diesem Wege wieder Geld hereinzuholen. "Das ist ja ein sehr europäischer Zugang, dass die Universität nichts kostet, auch wenn sie natürlich etwas kostet."

"Coursera" sowie "edX"

Die Schweiz sei im Gegensatz zu anderen Ländern Europas bei MOOCs schon ganz gut aufgestellt: Die EPFL und vier weitere der zwölf Schweizer Unis beteiligen sich bei den großen US-amerikanischen MOOC-Plattformen, dem in Stanford entwickelten "Coursera" sowie "edX" (unter Beteiligung von u.a. Harvard University, MIT). Dazu kommen an der EPFL Projekte in Kooperation mit mehreren afrikanischen Unis.

Bisher machen MOOCs an der EPFL in der Praxis zwar erst einen ganz geringen Teil der Lehre aus. So werden von 1.500 Vorlesungen zehn virtuell abgehalten. "Aber für die Strategie der Universität spielen sie eine absolut zentrale Rolle", betont Aberer. "Wir werden über die nächsten Jahre diesen Bereich wesentlich ausbauen. Ziel wäre, dass sicherlich zehn Prozent des Lehrangebots durch MOOCs unterstützt wird und wir alle Grundlagenkurse auf Basis von MOOCs abhalten."

Dabei sollen nicht nur klassische Frontalvorlesungen ersetzt und dadurch Zeit für praktische Arbeit und Diskussionen freigespielt werden. "Das betrifft alle Formen der Lehre", so Aberer. An der EPFL hofft man, dass durch MOOCs auch die Rolle des Life Long Learnings an den Unis zunehmen wird. So stehe in manchen Kursen die Mehrheit der MOOC-Kursteilnehmer bereits im Arbeitsleben.

An der EPFL gibt es über 600.000 Erstregistrierungen für MOOCs, 100.000 schließen die Kurse auch ab. Die meisten MOOCs werden zwar primär für die eigenen Studenten gemacht und trotzdem für Interessierte außerhalb der Uni geöffnet. Während die EPFL-Studenten dann ganz normal an der Uni ihre Prüfungen ablegen, können jene außerhalb der Uni über die Plattformen gegen eine Gebühr von 50 bis 100 Euro bei einer online überwachten Prüfung Zertifikate erwerben. In Zukunft will Aberer bei der Verzahnung von Uni und MOOCs noch einen Schritt weiter gehen: Studenten, die bereits über die Plattformen Kurse absolviert haben, sollen auf den EPFL-Campus kommen und vor Ort eine Zusatzausbildung erhalten können. (APA, 24.9. 2014)