Wien - Der Oberste Gerichtshof (OGH) ortet in einer im August ergangenen Entscheidung verfassungsrechtliche Bedenken bei der Bestellung von Sachverständigen für Gerichtsverhandlungen. Kritisiert wird die fehlende Unabhängigkeit, sofern sich die Anklage auf die Expertise desselben Sachverständigen stützt. Eine Reform der Strafprozessordnung (StPO) mit diesbezüglichen Änderungen tritt erst 2015 in Kraft.

Der OGH hatte am 11. August ein Urteil wegen Amtsmissbrauchs gegen einen Wiener Kinderarzt gekippt. Dem Mediziner war vorgeworfen worden, Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen nicht fachgerecht ausgeführt zu haben. Er soll bei drei Kindern keinerlei Auffälligkeiten vermerkt haben, obwohl diese erhebliche Entwicklungsmängel hatten. Der Angeklagte wies die Anschuldigungen stets zurück. Die entscheidende Frage für den OGH war aber, ob man Ärzte als Amtsträger einstufen kann. Der Schuldspruch wegen Amtsmissbrauchs wurde aufgehoben.

Ablehnung von Sachverständigem beantragt

Wie nun bekannt wurde, hatte der mittlerweile nicht mehr als Kinderarzt tätige Angeklagte beantragt, die im Ermittlungsverfahren tätige Sachverständige nicht auch im Hauptverfahren beizuziehen. Er führte an, dass die Expertin bereits in einem früheren Strafverfahren gegen die Eltern der betroffenen Kinder beigezogen worden war. Sein Antrag wurde abgewiesen.

Der OGH äußerte in seiner Entscheidung nun "erstmals verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung über den Sachverständigenbeweis". Der Grund bestehe darin, dass im strafgerichtlichen Ermittlungsverfahren ein Sachverständiger im Normalfall von der Staatsanwaltschaft bestellt wird. Das führe dazu, dass der "Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf seine Expertise stützt und ihn das Gericht für das Hauptverfahren neuerlich zum nunmehr auch gerichtlichen Sachverständigen bestellt, als von einer Verfahrenspartei nicht unabhängiger Zeuge der Anklage zu qualifizieren ist", so der beurteilende Senat.

Schon 2011 Bedenken geäußert

Die Vollversammlung des OGH hatte bereits in ihren Tätigkeitsberichten 2011 und 2012 verfassungsrechtliche Bedenken dazu geäußert, nun aber erstmals konkret auf einen Fall bezogen. Mit der im Juli 2014 im Nationalrat beschlossenen StPO-Reform werden Beschuldigte stärker in die Bestellung von Sachverständigen eingebunden und können auch Privatgutachten einbringen. Die Novelle tritt allerdings erst mit 1. Jänner 2015 in Kraft. Bis dahin besteht das Problem weiter. Für zukünftige Fälle sei das Thema aber dann wohl vom Tisch, sagte OGH-Sprecher Kurt Kirchbacher am Dienstag auf Anfrage der APA.

Im Verfahren gegen den ehemaligen Kinderarzt führten die verfassungsrechtlichen Bedenken zu keiner Normanfechtung, teilte der OGH mit. Der Angeklagte war unabhängig von dieser Frage freizusprechen. (APA, 23.9.2014)