Das zukünftige Verfassungsgefüge Großbritanniens ist zum Zankapfel der Parteien geworden. Nur wenige Tage nach dem Referendum in Schottland und knapp acht Monate vor der nächsten Unterhauswahl gerieren sich die Konservativen von Premier David Cameron als Sachwalter englischer Interessen.

Übers Wochenende hatten sowohl der kleinere liberale Koalitionspartner als auch die Labour-Partei Camerons Versuch eine Absage erteilt, versprochene Kompetenzabtretungen an Schottland mit Zugeständnissen an England zu verknüpfen. Der Premier handle "unehrenwert" und seiner Position nicht angemessen, kritisierte Labours finanzpolitischer Sprecher Edward Balls: "Er sollte mehr ans Staatsinteresse als an sein Parteiinteresse denken."

Die Formel bleibt

In der Endphase der Referendumskampagne hatten die Vorsitzenden der drei großen gesamt-britischen Parteien der schottischen Wählerschaft den raschen Transfer zusätzlicher Kompetenzen ans Edinburgher Parlament versprochen. Auch solle die "Barnett-Formel" weitere 35 Jahre gelten: Dank dieser liegen öffentliche Ausgaben für Gesundheit, Schulen und Infrastruktur um 19 Prozent pro Kopf höher als in England und Wales.

Kaum hatten sich die Schotten für den Verbleib in der Union entschieden, redete der Premier am Freitag einer Verknüpfung der Zugeständnisse mit anderen Verfassungsreformen das Wort: "Wir brauchen eine neue Abmachung für Wales, Nordirland und nicht zuletzt für England." Doch schon am Montag musste Camerons Team teilweise zurückrudern.

"In die Irre geführt"

In Edinburgh werden die Londoner Streitereien aufmerksam registriert. Ministerpräsident Alex Salmond hat zwar seinen Rücktritt erklärt, stichelt aber wie gewohnt gegen das "Londoner Establishment": Die Unionsbefürworter "wurden in die Irre geführt und ausgetrickst. Sie sind wütend!"

Die oppositionelle Labour-Party muss indes auf ihrem Parteitag im englischen Manchester die Frage beantworten, warum sie sich gegen weitergehende Verfassungsreformen sträubt. Dazu zählt der Versuch, schottischen Unterhausabgeordneten das Stimmrecht dort zu entziehen, wo es ausschließlich um englische Belange geht. Bei der Wahl 2010 entsandten die Schotten neben elf Liberaldemokraten, sechs Nationalisten und einem Tory auch 41 Labour-Abgeordnete ins Unterhaus.

Cameron muss Partei beruhigen

Daher liegt der Verdacht nahe, Labour-Chef Edward Miliband handle aus dem gleichen engen Parteiinteresse, das viele beim Konservativen Cameron vermuten: Ohne die Stimmen seiner schottischen Abgeordneten hat Miliband weniger Chancen auf eine eigene Regierung im Mai.

Den Wochenbeginn nützte Premier Cameron, um den eigenen Parteitag vorzubereiten. Für den Konservativen geht es darum, seine Truppe in Birmingham nächste Woche zu beruhigen. Besonders der rechte Parteiflügel reagiert alarmiert auf den Versuch der EU-feindlichen Ukip, sich als englische Nationalpartei zu profilieren. Mit einer Petition will Ukip-Chef Nigel Farage die schottischen Unterhausabgeordneten unter Druck setzen. Zudem fordert seine Partei eine Reduzierung der Sitze im Norden, eine Generalüberholung der Barnett-Formel sowie den Verfassungskonvent, von dem auch Labour redet. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 24.9.2014)