Flecker schätzt die sozialpolitische Relevanz der Arbeitsforschung.

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Wien - Bei weniger Arbeitsstunden gleich viel verdienen - es scheint, als könnte davon nur eine Gruppe profitieren: die Arbeitnehmer zulasten der Arbeitgeber. Dass dem nicht so sein muss, zeigten unlängst zwei skandinavische Unternehmen, die trotz Arbeitszeitverkürzung ihre Produktivität steigern konnten. Es sind Beispiele wie diese, aus denen die Sozialwissenschaften fundierte Modelle für Arbeitsreformen entwickeln.

Letzte Woche trafen an der Uni Wien Arbeitsforscher aus ganz Österreich zusammen, um den Startschuss für ein Netzwerk zur Arbeitsforschung zu geben. Mit Soznet sollen die universitäre und die außeruniversitäre Arbeitsforschung zusammengeführt werden. Bei der Kick-off-Veranstaltung - an der nicht nur Wissenschafter, sondern auch Vertreter von Wirtschaft und Gewerkschaft teilnahmen - stand das Thema Arbeitszeit im Zentrum.

Die Arbeitszeitdebatte führt häufig in einen Konflikt zwischen Arbeit und Kapital. Doch dass von Arbeitszeitverkürzungen nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Unternehmen profitieren können, zeigt das eingangs erwähnte Beispiel: Als Antwort auf häufige Krankenstände setzten eine norwegische Molkerei und ein schwedisches Autohaus durch, bei gleichen Bezügen die Arbeitszeit auf 30 Stunden zu reduzieren.

Es wurde berechnet, dass innerhalb einiger Monate die Produktivität um 25 Prozent gesteigert werden müsse, um keine Verluste zu machen. Tatsächlich stieg die Produktivität sogar um 50 Prozent - durch Rückgang der Krankenstände und mehr Effizienz.

In Österreich werden überdurchschnittlich viele Arbeitsstunden (40,1 Stunden pro Woche bei Vollbeschäftigten) bei hoher Produktivität geleistet, doch "Arbeit ist sehr ungleich verteilt", sagte die Soziologin Carina Altreiter. Ein Großteil der Vollbeschäftigten wünscht sich, weniger zu arbeiten, während unter den Teilzeitbeschäftigten ein großer Anteil mehr arbeiten will.

Arbeitszeitverkürzung scheint die logische Antwort auf die ungleiche Verteilung und die derzeit hohe Arbeitslosenquote. In der historischen Perspektive zeigt sich, dass das Erfolgsmodell gegen Arbeitslosigkeit oftmals eine Arbeitszeitverkürzung war.

Historische Kehrtwende

Wie die Soziologin Susanne Pernicka ausführte, waren im 19. Jahrhundert Arbeitszeiten von zwölf bis 16 Stunden pro Tag vorgesehen - für Männer, Frauen und Kinder. 1975 wurden 40 Stunden pro Woche als gesetzliche Normalarbeitszeit festgelegt. Bis in die 1990er wurde die Arbeitszeit auf 38,5 Stunden gesenkt. Durch Flexibilisierung, All-inclusive-Verträge und neue Formen der Selbstständigkeit kehre sich nun der Trend um, und die tatsächliche Arbeitszeit nimmt wieder zu.

Anders gesagt geht es beim Konflikt von Kapital und Arbeit um möglichst hohe Flexibilität, die die Unternehmen verlangen, und andererseits um Sicherheiten für die Arbeiter gegenüber dem "Husten des Marktes", wie es ein Mitdiskutant ausdrückte.

Als "paradox" hob Christoph Hermann von der Forschungs- und Beratungsstelle Forba hervor, dass in der aktuellen Wirtschaftskrise Arbeitszeitverkürzung kaum diskutiert werde und im Gegenteil Verlängerungen durchgesetzt würden: In Portugal konnte zwar die Einführung der 44-Stunden-Woche verhindert werden, dafür wurden Feiertage gestrichen.

Auch der Soziologe Jörg Flecker, Koordinator von Soznet, sagte, es sei "nicht nachvollziehbar", warum die schrittweise Arbeitszeitverkürzung derzeit ausgesetzt wird. Ein soziologischer Blick auf die Gesellschaft bedeute für ihn auch, "skeptisch zu sein, wie wir unser Leben führen". Was er an der Arbeitsforschung besonders schätze, sei die hohe gesellschaftspolitische Relevanz.

Die Formen der Lebensführung würden vielfältiger, sagte Flecker. Es müssten Wahlmöglichkeiten geschaffen werden, um die verschiedenen Lebensformen zu bedienen, doch diese bräuchten "Leitplanken" und "Haltegriffe". Von einer völligen Flexibilisierung würde das Kapital auf Kosten der Arbeit profitieren. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 24.9.2014)