Eine für alle österreichischen Muslime einheitliche deutsche Koran-Übersetzung, damit erstens Inhalte von radikalen Islam-Ideologen nicht durch die Wahl radikaler Wortwahl-Varianten beim Übersetzen zugespitzt werden können und zweitens die Mehrheitsbevölkerung weiß, was im Koran "wirklich" drin steht: Das ist eine der Maßnahmen, die Integrations- und Außenminister Sebastian Kurz im Ö1-"Im Journal zu Gast" vorschlug. Prinzipiell nichts dagegen zu sagen, außer: wenn es so einfach wäre.

Jede Übersetzung ist auch Interpretation, und es wäre zu begrüßen, dass sich moderne Muslime damit beschäftigen, welche lexikalischen Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen, um den Koran in einer europäischen demokratischen Kultur im 21. Jahrhundert lesbar und lebbar zu machen. Aber jeder, der einmal einen Koran, in welcher Sprache auch immer, in der Hand gehabt hat, kennt die Schwierigkeiten. Ohne Kontext geht da gar nichts, und schon gar nicht für den Nicht-Muslim. Nicht ohne Grund offeriert Rudi Paret in seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen Koran-Übersetzung von 1966 "gewisse Hilfen für eine sachliche Rekonstruktion des Zusammenhangs", nämlich da, wo Gedankengänge im koranischen Text "nur flüchtig oder überhaupt nicht angedeutet" werden. Möglichkeiten der Fehlinterpretation mit eingeschlossen. Ein Muslim liest den Koran, indem er den Wortlaut in den für ihn zur Verfügung stehenden traditionellen Kontext einbettet, für ihn ist klar, was es heißen soll. Und darüber hinaus hat der Text des Korans als (wörtliches) Wort Gottes auch noch eine ganz andere Funktion, eine sakrale Stellung, auch wenn man nicht jedes Detail versteht. Deshalb ist die Rezitation so wichtig.

Irritierend für Nichtmuslime

Aber das ist nicht das einzige Problem, an manchen Versen wird man noch so lange herumübersetzen können, sie werden das bleiben, was sie sind: irritierend für Nichtmuslime. Auch wenn es solche Stellen in fast allen religiösen Texten aller Religionen gibt - Stichwort Altes Testament -, im Islam ist die Sache besonders haarig. Denn jene Tradition - und nein, sie war eben nicht die einzige! - hat sich durchgesetzt, die auf der Wortwörtlichkeit beharrt, es gilt der Text, zumindest theoretisch. Das heißt, metaphorische und esoterische Deutungen sind nicht der islamische Mainstream. Und obwohl jeder weiß, dass es einen starken wirkungsmächtigen historischen Kontext gibt, in dem der Koran verkündet wurde - es gibt sogar eine islamische Wissenschaft dazu, die Wissenschaft der "Verkündigungsanlässe" -, ist es fast unmöglich zu sagen, dass ein Koranvers "nicht mehr gilt", weil er bei diesem oder jenem konkreten Anlass - etwa bei den Kriegen, die das medinensische Gemeinwesen gegen seine Feinde führte - verkündet wurde. Für den modernen Muslim sind in der Praxis diese Verse irrelevant, aber den Schritt, ihre Obsolenz zu erklären, haben nur wenige muslimische Islamgelehrte gemacht (aber es gibt sie - und es gibt übrigens sogar im Koran selbst Verse, die von späteren abrogiert, also in ihrer Gültigkeit abgelöst wurden, auf diesem Weg ist etwa das Alkoholverbot zustande gekommen).

Kann man da also gar nichts machen? Islam-Gegner und viele Muslime werden antworten: nein, nie. Ihnen sei, nur als (wenngleich nicht analoges) Beispiel, die Lektüre des "Syllabus der Irrungen" von Papst Pius IX. empfohlen, veröffentlicht 1864 (nicht 864). Auch wir haben eine weite theologische Reise gemacht, die der Islam ebenfalls bereits begonnen hat - das Aufkommen islamischer politischer Strömung im 21. Jahrhundert, ein Teil der Radikalisierung ist auch als Reaktion darauf zu sehen. Nur ist er noch nicht angekommen, noch lange nicht. Und er wird auch nicht alle auf diese Reise mitnehmen, wie es auch alle anderen Traditionen nicht schaffen. Die jetzige schwere Krise könnte aber sogar als Katalysator für Entwicklung wirken. Und ja, auch ordentliche Übersetzungen gehören her. Mit aufgeklärtem Kommentar. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 20.9.2014)