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Marko Feingold: "Mein Glück war, dass ich zwischen 12 und 14 die Schule geschwänzt habe."

Foto: APA/Gindl

1932 ist Marko Feingold 19 Jahre alt, als er ohne Italienisch zu können, mit seinem Bruder als Vertreter nach Italien geht. "Wir haben sehr, sehr viel verdient, ein wunderbares Leben gehabt. Das sind die sechs schönsten Jahre in meinem Leben. Als wir die Stadt gewechselt haben, mussten wir zwei Taxis nehmen, weil die Koffer gar nicht reingepasst haben", erzählt der 101-Jährige in einem Vortrag auf der Schallaburg Ende Juli. Während des Zweiten Weltkrieges überlebte er vier Konzentrationslager - Auschwitz, Neuengamme, Dachau, Buchenwald - und half danach Juden bei der Flucht nach Palästina. Seine Überlebensgeschichte in Buchform titelte der Zeitzeuge mit "Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh". Feingold ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg.

Zurück ins Jahr 1938. Als die Brüder im Februar in Wien die Pässe verlängern wollen, kommen sie erst um zwei Uhr in der Früh vom Tanzen nach Hause und hätten schon um fünf Uhr in der Früh aufstehen müssen, um auf das Passamt zu gehen. "Wir haben Daueraufenthalt in Italien gehabt, aber Mussolini hat die Grenze gesperrt: niemand raus, niemand rein." Die Gestapo hält die Brüder fest und möchte, dass sie ihrem Vater schreiben, dass er kommen soll. "Am 1. April hat man die ersten 1000 Wiener nach Dachau gebracht. Auf einer dieser Listen stand unser Vater drauf, er war aber in Jugoslawien, also nimmt man uns zwei mit." Auch wenn man sie schlägt, sie schreiben dem Vater nicht. "Mein Vater war 50. Ich kann ihm doch nicht schreiben, der hält die Gestapo nicht einen Tag durch, was sie mit ihm machen", erzählt Feingold. Nach fünf Wochen sind die Brüder wieder frei, mit der Auflage, Österreich zu verlassen.

Jugend im Wiener Prater

"Wir konnten in die Tschechoslowakei rein, das einzige Land, das uns sympathisch war", sagt Feingold. Wegen ungültiger Papiere kommen sie auch dort drei Wochen in Haft und werden nach Polen abgeschoben. "Auf so einer Schubstation in Polen findet man natürlich auch echte Ganoven, nicht nur Harmlose, so wie wir." Auf Nachfrage erklärt er, dass er durch seine Jugend im Wiener Prater sehr gewieft war und wusste, mit Ganoven umzugehen. "Mein Glück war, dass ich zwischen 12 und 14 die Schule geschwänzt habe und mich dort aufgehalten habe. Ich habe so viel gelernt, was ich im KZ gebraucht habe." Was er gelernt hat? "Alles habe ich gelernt."

Neue Papiere

In einem Kaffeehaus lässt er sich neue Papiere machen. "Ich habe wunderbare Papiere bekommen, aber sie waren falsch." Zwei Monate später steht das polnische Militär vor der Tür, da die Brüder den Militärdienst noch nicht absolviert hatten. "Man kann mitgehen, oder man rennt weg. Wir haben einen Offizier gehabt, der ein bisschen Deutsch gesprochen hat und den haben wir ein bisschen bearbeitet", schildert Feingold. "Schaun S', Sie ham ja nichts von uns, wir können ja kein Polnisch sprechen. Geben Sie uns die Möglichkeit, dass wir Polnisch lernen und in sechs Wochen können wir darüber reden, dass wir zum Militär gehen." Der Offizier ist damit einverstanden, und am nächsten Tag sind die Brüder in der Tschechoslowakei, wo sie glauben ein neues Leben beginnen zu können. Doch drei Monate später besetzt Hitler die Tschechoslowakei.

Schwindel mit Fantasiepreisen

Ein bekannter SS-Offizier lässt Feingold und seinen Bruder Inventare von verlassenen Wohnungen aufnehmen. Sie denken, die Deutschen werden das irgendwann einmal mit der Tschechoslowakei verrechnen müssen und schreiben Fantasiepreise nieder. Der Schwindel fliegt auf. SS-Männer schlagen auf sie ein, um zu erfahren, welche tschechische Organisation sie angestiftet habe. "Brauchst ja nur die Wahrheit sagen und aus ist's", locken die Offiziere. "Was wir da monatelang an Schlägen bekommen haben, ist unbeschreiblich", erzählt Feingold.

Am 1. September 1939 beginnt der Polen-Feldzug und drei Wochen später kommt ein neuer Gestapo-Beamter, dem auffällt, dass sie keine Deutschen sind. In der Folge sieht er die falschen Papiere. Sie sollen abgeschoben werden nach Krakau und von der deutschen Polizei als Polen beurteilt werden. Dort sind 450 Häftlinge, die alle auf einen Prozess warten. Für kriminelle Taten gibt es die Kriminalpolizei, für politische Taten gibt es die Gestapo, die keine Prozesse mit ihnen führt. Hitler hatte ja keine Gegner. "Wir werden in den Hof gebracht, kommen zum Zug. Niemand hat eine Ahnung, wohin man uns bringt." (Anna Strümpel, derStandard.at, 23.9.2014)