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George Square, Glasgow, am 17. September 2014: Ein letztes Mal versucht dieser Schotte, seine Landsleute auf der Fortbestand der Union mit England, Wales und Nordirland einzuschwören.

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George Square, Glasgow, am 19. September 2014. Unabhängigkeitsanhänger feiern.

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Mary Pitcaithly war in den vergangenen Tagen die Nervosität anzumerken. Aus ihrem Mund, dem der Wahlleiterin, erfährt die Welt in den Morgenstunden dieses Freitags, ob die Schotten Ja oder Nein sagen zur Unabhängigkeit.

Dass es dabei um die 307 Jahre alte Union zwischen England und Schottland geht, stimmt nur noch teilweise: Schon jetzt steht fest, dass auf der Insel zukünftig andere politische Verhältnisse herrschen werden. Mit ihrer Unabhängigkeitsbewegung haben Separatisten, Nationalisten, Grüne, Sozialisten und politisch ungebundene Gruppen eine Verfassungsdebatte erzwungen. Weitreichende Veränderungen des britischen Staates und seiner Regionen werden folgen – egal ob sie das weiterhin bestehende Groß- oder nur noch Rest-Britannien betreffen.

Wie zu Beginn ihrer Union liegen die Briten auch diesmal in einem europäischen Trend: Heute hat der Stolz auf die Region Auftrieb, rütteln Separatistenbewegungen vielerorts an den Grundfesten bestehender Nationalstaaten. Vor gut 300 Jahren passte der Zusammenschluss in "ein Zeitalter einer Staatenkonsolidierung in ganz Europa", erläutert der schottische Historiker Christopher Harvie: "Die Vereinigung stellte eine Vernunftsehe dar. Sie beschützte England und erlaubte gleichzeitig das Überleben einer schottischen Gesellschaft."

307 Jahre Union

Der Vertrag von 1707 zementierte zwar die Dominanz Englands. Gleichzeitig sicherte das Papier aber dem kleineren Partner nicht nur den Handel mit England, sondern auch seine kulturelle Identität: die eigene presbyterianische Kirche, die fünf Universitäten, das System der Kommunalverwaltung und schließlich das Rechtssystem. Das war viel für ein beinahe bankrottes Staatswesen. Binnen weniger Jahrzehnte florierten alle Teile der Union.

Die Londoner Elite habe angesichts des reibungslosen Zusammenlebens die Union einfach vergessen, glaubt Professor Harvie. Regionen hatten im politischen Denken englischer Herrscher noch nie eine Rolle gespielt, im Gegenteil. Seit dem Hochmittelalter galt das englische Königreich gerade durch seine straffe, zentralistische (Steuer)-Verwaltung als erfolgreich. Wer sich assimilierte, durfte auf Großzügigkeit hoffen. Wer nicht gehorchte, wurde niedergemacht – wie in der öffentlich nie gesungenen sechsten Strophe der Nationalhymne, wo von der "Vernichtung der rebellischen Schotten" die Rede ist.

Ölfunde in den 1960er Jahren

Die in der Nationalpartei SNP organisierten Separatisten gewannen erst an Bedeutung, als in den 1960er Jahren in der Nordsee Öl gefunden wurde. Und das heute verbreitete Misstrauen gegenüber London speist sich aus dem fehlgeschlagenen Referendum von 1979. Zwar wollte eine Mehrheit die angebotene Autonomie verwirklichen; weil das Gesetz aber die Zustimmung von bloß 40 Prozent der Wähler verlangte, fiel die Maßnahme durch.

Es folgten achtzehn Jahre Tory-Herrschaft. Besonders Margaret Thatchers Politik, unpopuläre Maßnahmen wie die Kopfsteuer zuerst in Schottland auszuprobieren, sorgte für Unmut. Seit London 1999 der begrenzten Autonomie samt eigenem Regionalparlament den Weg ebnete, sind die Unterschiede eher größer geworden. Voller Neid wird südlich des Tweed-Flusses registriert, dass Edinburgh die Uni- und Rezeptgebühren abgeschafft hat und ihren Bürgern kostenfreie Pflege zusichert, während Engländer für Bildung, Medikamente und Betreuung im Alter bezahlen müssen. Welches Ergebnis auch immer Mary Pitcaithly verkündet: Die Verfassungsdiskussion wird weitergehen. (Sebastian Borger aus Edinburgh, DER STANDARD, 19.9.2014)