Foto: Jens Harder, BETA, Carlsen Verlag GmbH, 2014

Wien – "Das Gute am Comic ist ja, dass ALLES möglich ist. Jede Form von Bastardisierung und Irritation ist zu befürworten!", schreibt Nicolas Mahler, der Wiener Meister der minimalen Comickunst, in seinem Buch Franz "Kafkas nonstop Lachmaschine", heuer bei Reprodukt erschienen.

Was Mahler meint, ist schon lange in der Kulturgeschichte des Comics festgeschrieben: Die Verzahnung von Bildern und Texten zu einem Erzählfluss vermag etwas zu bewirken, was kein anderes Medium schafft. Seit mehr als einem Jahrhundert ist das Comic ein stiller, aber populärer Begleiter in der Medienlandschaft.

In dieser Zeit hat sich eine nahezu unüberschaubare Vielfalt an Genres und Formen entwickelt, die den verschiedensten Ansprüchen genügen. Lange von der Wissenschaft stiefmütterlich behandelt, hat sich mittlerweile auch eine internationale Comicforschung etabliert - wenn auch eher in traditionell Comic-affineren Ländern wie Frankreich und Belgien sowie im angloamerikanischen Raum als hierzulande.

Durch die Comic-Brille

Was sich alles in diesem reichhaltigen Biotop der grafischen Literatur tummelt, will der neue Comic-Blog "Pictotop" ergründen. Darin macht sich STANDARD-Wissenschaftsredakteurin Karin Krichmayr auf die Suche nach illustren Schmuckstücken, Graphic Novels und Bildgeschichten, die neue Blickwinkel auf Geschichte, Forschung und Gesellschaftspolitik erlauben.

Ab sofort schaut der Blog im Zweiwochen-Rhythmus durch die Comic-Brille in die Vergangenheit genauso wie in die Zukunft, und widmet sich Neuerscheinungen aus dem Bereich der Fiktion ebenso wie Comicreportagen und Sachcomics. Im ersten Teil wirft Pictotop einen Blick in Jens Harders "Beta...civilisations Volume 1". Das episch angelegte Bilderfeuerwerk illustriert auf 368 Seiten die Evolution der Menschheit, vom Aussterben der Dinosaurier bis in die Antike hinein - mit überraschend unkonventionellen gestalterischen Mitteln.

Eine beeindruckende Evolution hat auch das Comic-Format selbst hinter sich: Der US-Comic-Theoretiker Scott McCloud verortet in seinem Standardwerk "Understanding Comics" (das übrigens in Form eines Sachcomics erschien) seine Anfänge bei den Höhlenmalereien. Meist definiert die Forschung Bildgeschichten erst ab ihrer massenhaften Verbreitung via Zeitungsstrips Ende des 19. Jahrhunderts als Comics.

Vom Heft zur Graphic Novel

In den 1930ern erschienen erstmals eigenständige Heftserien auf der Bildfläche, und die damit entstehende Comicindustrie trat mit "Superman" & Co zum (von der Kriegspropaganda getriebenen) Siegeszug in Richtung "goldenes Zeitalter" an. Mitte der 1960er-Jahre entdeckte die Subkultur das Comic als Mittel im Kampf gegen überkommene Machtverhältnisse, Zensur und die klinisch saubere Welt der sogenannten Majors.
Die Underground-Comics leiteten eine Renaissance der anfänglichen Personalunion von Autor und Zeichner ein und bereiteten damit den Boden für die ab den 1980ern florierenden Graphic Novels. So werden umfassende grafische Romane in Buchform bezeichnet, die die sequenzielle Bildkunst sowohl erzählerisch als auch künstlerisch in ein neues Licht rückten.

Heute scheinen Comics ihr Schmuddelimage endgültig abgelegt zu haben: Art Spiegelman erhielt als bisher erster und einziger Comic-Künstler für seine bahnbrechende Holocaust-Aufarbeitung "Maus - Die Geschichte eines Überlebenden" den Pulitzer-Preis, Marjana Satrapi hat mit ihrer Autobiographie "Persepolis" einen weltweiten Verkaufsschlager gelandet. Am Markt ist alles zu finden: Literaturadaptionen, Biografien, grafische Memoiren - und eben Wissenschaftscomics. (red, DER STANDARD, 24.9.2014)