Supergaul-Sänger Bier Wolfmann mit Gitarristenhandpuppe und erotischem Bildheft der Sängerin.

Foto: Rummelplatz-Musik

Popmusik greift mitunter sehr ernste Themen auf. Die Liebe ist kein Kinderspiel. Wenn man etwas größer ist, können Einsamkeit und Zurückgewiesenwerden ein zunehmend größer werdendes Problem darstellen. Es ist überhaupt wichtig, geliebt zu werden, weil es unangenehm ist, wenn man nicht gemocht wird – so rein vom Erfahrungswert her. Man kann aber auch darüber singen, dass man sein Baby nicht mehr mag, weil es gemein zu einem war und nun lieber allein auf die Party geht. Alle anderen Freunde dürfen übrigens bis vier Uhr früh dort bleiben, nur selbst muss man schon um drei zu Hause sein! Sex, verbotener Sex, heimlicher Sex, Sex im Traum oder Sex als Albtraum sind ebenso relevante Themen wie ab und zu Umweltschutz, Reichtum, neue Schuhe, Turnschuhe und Nachhaltigkeit. U2 haben übrigens gerade ein Lied über sexuellen Missbrauch und Priestertum veröffentlicht, aber das ist sicher ein sehr spezielles Randthema.

Thematisch stehen in der Popmusik jedenfalls sämtliche Türen offen (schon wieder so eine Anspielung). Wenn es allerdings gar zu lustig wird, will man das nicht mehr hören. Es ist so wie auf diesen Facebook-Fotos: Wenn einer gar zu ernst schaut, sieht das aus wie übersäuerter Magen im Herbstnebel. Wenn einer lacht, als ob sich gerade ein Lottosechser mit einer unerwarteten größeren Erbschaft aus Amerika auf ein Packerl gehaut hätte, sieht man aus wie Tante Gerti auf Urlaub vor dem Eiffelturm in Paris.

Achtung, schlechte Witze

Das deutsche Trio Supergaul ist nach Eigentlich wollte ich klein, doch dann kam groß und dem Hit Danebenbenehmen mit seinem zweiten Album eher auf der Seite von Tante Gerti zu finden. Die neue Songsammlung trägt den lapidaren Titel Musik für Menschen mit oder ohne Penis. Der Sänger nennt sich Bier Wolfmann – das ist jetzt kurz etwas zum Nachdenken, aber ältere bildungsnahe Menschen werden das kapieren. Im Rahmen völliger Unbekanntheit muss man sich Supergaul als so etwas Ähnliches wie ihre jüngeren Kollegen Y-Titty vorstellen. Y-Titty bringen gegenwärtig die Unterstufen der Gymnasien mit lustigen selbstgebastelten Musikvideos zum Lachen, bevor dann das sexuelle Verlangen in der Pubertät nach mehr als Witzen schreit und die nachdenk lichen und sensiblen wie attraktiven One Direction oder andere junge Formatradiostars jederlei Geschlechts die Oberhand über die Smartphones gewinnen. Y-Titty nehmen das Zeitgeschehen auch selbstironisch und kritisch aufs Korn. Sie haben Millionen Anhänger. Supergaul sind nur ironisch. Ihre Videos will niemand sehen, weil sie alt und hässlich sind. Ihre Kollegen vom Deppentechno-Kollektiv HGich.T (Ich liebe dich, auch wenn du erst 16 bist) sind noch älter und hässlicher. Supergaul produzieren dafür als Anhänger des neuen Zynismus, der sich eigentlich durch nichts vom alten unterscheidet, die verträglichere Musik und die ertragbareren, weil sinnstiftend erzählten Texte.

Supergaul machen jetzt nicht unbedingt in irgendeiner Hinsicht interessante Musik, sie sind reife Studenten, denen niemand sonst eine Chance gegeben hat, darum machen sie jetzt deutschen Schlagerpop mit lustigen Worten. Ihre Lieder tragen schöne Titel wie Der einzig anerkannte Grund für Selbstmord oder Bück dich und nenne mich Jochen. Andere Songs heißen Der Guantanamo Fun Hit oder Haaasi, ich schenk dir die Freiheit. Letzteres handelt von einem Leben im Keller.

Wer junge Leute verstehen will, die sich nicht mehr für Politik und soziale Verbesserungen interessieren, weil gerade daheim die lustigen Zigaretten ausgegangen sind und man auch noch schnell in den Supermarkt muss, bevor er zusperrt, weil Tiefkühlpizza mit einigen Dosen Zosch auch ein Thema ist, muss Supergaul hören. Supergaul, das blöder als die Ärzte, softer als Rammstein und verlogener als Dieter Bohlen ist. Sie sind der Sound Deutschlands Ende 2014. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 19.8.2014)