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Ein Herz aus Glas als Symbol für Coolness und zeitlose Kunst. Um Debbie Harry von Blondie nahe zu sein, wollte manch einer mit dem Auto durch die Wand fahren. Man kann das nachvollziehen.

Foto: APA/EPA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Phil Spector hat sie mit der Pistole bedroht, Jeffrey Lee Pierce fuhr mit dem Auto gegen die Studiowand, um ihr nahe zu sein. Dem New Yorker Serienmörder David Berkowitz, dem "Son of Sam", entkam sie im letzten Moment mit einem Sprung aus dem Auto. Sie war Kellnerin und Playboy-Bunny, sie war die coolste Frau des Punk und New Wave.

Autobiografisch sei noch hinzugefügt, dass einem Debbie Harry von der Band Blondie schon sexy erschien, als man noch gar nicht genau wusste, was das heißen soll. Doch irgendetwas Magisches ging von dieser Band und ihrer Sängerin aus. So wie die Frau mit den breiten Backenknochen einen da anblickte, von der Rückseite des K-tel-Samplers, den man vom hart erschlichenen Taschengeld erstanden hatte und dem man ergeben am Donauland-Plattenspieler lauschte, anstatt an den ewigen Rätseln der Schlussrechnung zu verzweifeln. O Blondie, erlöse mich!

Man merkt bereits anhand der Vermengung von Fakten, Anekdoten und Projektionen, dass jetzt das Wort Legende fallen wird. Ups, schon passiert. Und wenn solche sich blicken lassen, um, wie im Falle von Blondie, zum 40-Jahr-Jubiläum ihres Bestehens zu laden, dann pilgern die Pilger.

Denen ist als solchen die Treue ins Wesen eingeschrieben, also konnte am Donnerstagabend selbst gotterbärmliches Sauwetter nicht verhindern, dass das Open-Air-Gelände der Wiener Arena ausverkauft war. Legende bedeutet aber seitens der solcherart Verklärten auch die Verpflichtung, diesem Status zu entsprechen. Da wird das Eis oft dünn, und so manche Legende trug sich mit altem, aufgewärmtem Kaffee frühzeitig selbst zu Grabe.

Bei Blondie konnte man bald Entwarnung geben. Nachdem der Sound im Opener One Way or Another justiert war, legte die sechsköpfige Band mit drei verbliebenen Originalmitgliedern qualitativ ansteigend nach: mit dem neuen Rave; und nach dem genervten - "Oh, I can't control myself!" - Klassiker Hanging on the Telephone war alles im grünen Bereich. Fast.

Denn dann griff sich Harry ins Kreuz und erkundigte sich, ob denn ein Chiropraktiker zugegen sei. Ein Scherz, aber einer, den sie mit 69 Jahren machen darf. Sie, die eine wilde Vergangenheit überlebt hat und heute noch Punkrock anstatt Bingo spielt.

Blondie gelten als einer der wichtigsten Vertreter des New Yorker Punk und der daraus hervorgegangenen New Wave. Aufgetaucht 1974, erstes Album 1976, zwei Jahre später Weltruhm. Neben den Ramones, den Talking Heads und einer Handvoll anderer waren Blondie die Ersten, die sich im Mainstream etabliert hatten, ohne sich zu verbiegen. Sie absorbierten Disco ebenso wie die Underground-Mucke, die oben in der Bronx gerade die Straße eroberte.

Der Blondie-Song Rapture erwähnte schon 1981 Hip-Hop und mit Fab Five Freddy and Grandmaster Flash zwei seiner Protagonisten. Dass sich 20 Jahre später eine Band nach dem Song benannte, sei als historische Fußnote erwähnt. Aber das ist Stoff für die Briefmarkensammler.

Blondie spielten live derweil eine süffige Mischung aus alten und neuen Stücken. Call Me, eine dieser anzüglich verzweifelten Disco-Rock-Hymnen, mit denen Blondie berühmt wurden. Clem Burke holzte satte Hi-Hat-Segnungen aus dem Schlagzeug, Chris Stein legte trockene Riffs drauf, und vorn verging Harry, während der Sound der ollen Synthiegitarre David Bowies Weltraumfantasien zitierte.

Oma Langstrumpf

Harry tänzelte dazu in rot gepunkteten schwarzen Leggings als gut gelaunte Oma Langstrumpf über die Bühne. Nicht immer trittsicher, meist jedoch souverän, newyorkerisch charmant und immer noch Coolness verströmend, ohne es nötig zu haben.

Im Vorbeigehen interpretierten sie (You Gotta) Fight for Your Right (to Party) von den Beastie Boys. Das 15 Jahre junge Lied Maria erwies sich auch live als der erhebende Popsong, der er ist, und nach einem kleinen Hänger ging es mit dem Schunkler The Tide Is High in Richtung Finale.

Dort strahlten sie dann: Atomic. Heart of Glass. Dreaming. Songtitel wie Monumente einer Ära. Genialisch. Verführerisch. Und ja, sexy. Immer noch, nach all den Jahren. (Karl Fluch, DER STANDARD, 13.9.2014)