"Es braucht Menschen, die im Sinne eines verinnerlichten Berufsethos, weil sie es selbst wollen, tätig sind", sagt Erich Ribolits über die Arbeitswelt der Zukunft.

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STANDARD: Kritische Töne zur Arbeitsmarktfähigkeit der Jugendlichen mehren sich. Wie sind die zu gewichten?

Ribolits: Ich würde empfehlen, diese Stimmen durchaus ernst zu nehmen! Zwar mag es sich dabei zum Teil bloß um die übliche Klage der etablierten Generation hinsichtlich einer vorgeblich verminderten Leistungswilligkeit und -fähigkeit der jeweils Heranwachsenden handeln. Die aktuell vorgebrachte Kritik an der Arbeitsmarktfähigkeit Heranwachsender hängt jedoch auch mit tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt zusammen. Für diese sind tatsächlich neue, bei den heute in den Arbeitsmarkt Drängenden vielfach nicht ausreichend ausgebildete Fähigkeiten erforderlich. Genügte es für viele Arbeitnehmer bisher, ihren Job im Sinne der fachlichen Anforderungen ihres Berufes und der Vorgaben ihrer jeweiligen Vorgesetzten korrekt zu verrichten, reicht eine derartige, innerlich gewissermaßen distanzierte Form der Berufsausübung zunehmend aber nicht mehr aus.

STANDARD: Was ist gefordert?

Ribolits: Die immer häufiger geforderten Anforderungen lauten: Selbstständigkeit, Kreativität, aktives Zugehen auf Probleme und Identifikation mit den Unternehmenszielen. Arbeitnehmer sollen nicht mehr bloß tun, was ihnen aufgetragen wird, sondern sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit und vollem Engagement in die Arbeitstätigkeit einbringen. Dazu gehört vor allem auch das Erkennen eigener Handicaps in Bezug auf die berufliche Verwertbarkeit und der verinnerlichte Anspruch, diese beseitigen zu wollen. Es geht darum, sich den Arbeitsmarkterfordernissen nicht länger bloß zu unterwerfen, sondern sich im Fokus derselben wahrnehmen und verhalten zu wollen.

STANDARD: Welche Entwicklung spiegelt sich in den lauter werdenden Sorgen um die Arbeitsmarktfähigkeit?

Ribolits: Hintergrund der neuen Anforderungen an Arbeitnehmer und der entsprechenden Befürchtungen mangelnder Eignung der Heranwachsenden für dieselben sind die durch die Informations- und Kommunikationstechnologie ausgelösten Verdrängungseffekte. Alle Tätigkeiten, die einem festgelegten Ablaufschema folgen, können letztendlich in ein EDV-Programm übersetzt werden. Mit der fortschreitenden Möglichkeit, für diese Tätigkeiten billiger arbeitende computergesteuerte Maschinen herzustellen, können Menschen in großen Bereichen der Arbeitswelt technologisch ersetzt werden. Hinzu kommt: Die Informations- und Kommunikationstechnologie macht es auch einfacher, arbeitsintensive Produktionen, in denen es primär darum geht, angelerntes fachliches Verhalten korrekt umzusetzen, in Weltgegenden auszulagern, wo Arbeitskräfte mit einem geringeren Lohn vorliebnehmen müssen.

STANDARD: Und das heißt in der Konsequenz?

Ribolits: Dass auf mittlere Sicht menschliche Arbeitskräfte nur noch für fallbezogene Tätigkeiten erforderlich sein werden, also für Tätigkeiten, bei denen beim Auftreten eines neuen Problems spontan, aus einer verinnerlichten Haltung heraus, eine Lösung gefunden werden muss. Dass man auf derartige Tätigkeiten nicht direkt, durch traditionelle Lernarrangements und fachlich noch so gut qualifizierte Lehrende vorbereitet werden kann. Genauso wenig ist es möglich, die Qualität der Arbeitserbringung in solchen Tätigkeitsfeldern auf traditionelle Art, unter Zuhilfenahme eines hierarchischen Systems, zu kontrollieren. Es braucht dazu Menschen, die im Sinne eines verinnerlichten Berufsethos, weil sie es selbst wollen, tätig sind. In diesem Sinn sind es wahrscheinlich gar nicht so sehr die Schwächen unter anderem im Lesen, Schreiben und Rechnen, in denen sich das Arbeitsmarkthandicap einer bedrückend hohen Zahl von künftigen Arbeitnehmern äußert, sondern ihre in Gestalt dieser Mängel zur Schau gestellte Unwilligkeit, an sich selbst zu arbeiten.

STANDARD: Weshalb findet die Besorgnis um Können und Wollen des Nachwuchses in der öffentlichen Diskussion so wenig Widerhall?

Ribolits: Obwohl es sich beim angesprochenen Wandel um einen äußerst tiefgreifenden Umbruch handelt, wird dieser hinsichtlich seiner systemischen Ursachen erstaunlich selten thematisiert. Offenbar ist die Angst, sich mit den weitgehenden Folgen dieser Entwicklung auseinanderzusetzen, recht groß. Das Ausblenden der tatsächlichen Dimension der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beziehungsweise deren Schönreden als vorübergehende Krise hat zur Folge, dass auch die zunehmend zur Geltung kommenden Veränderungen in der Arbeitswelt und die daraus eigentlich logisch abzuleitenden Konsequenzen für die Vorbereitung Heranwachsender auf die von ihnen zu bewältigende Anpassungsleistung eher nur halbherzig reflektiert werden. Eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit den systemischen Ursachen der aktuellen Schwierigkeiten steht also noch aus.

STANDARD: Sind die Bildungsverantwortlichen also "blind" für die beinharte Realität des globalen Wettbewerbs um Arbeitsplätze?

Ribolits: Blind für die Realität sind die Bildungsverantwortlichen wahrscheinlich nicht, aber möglicherweise verdrängen sie die Ungeheuerlichkeit dessen, was sich aktuell an Perspektive auftut. Zum einen schrecken auch sie wahrscheinlich vielfach davor zurück, sich die Konsequenzen der sich verschärfenden Konkurrenz bis in die letzte Konsequenz auszumalen. Und zum anderen müssten sie in vielen Fällen wohl sehr unpopuläre Maßnahmen einfordern, wenn das Bildungssystem tatsächlich konsequent dem Anspruch der Vorbereitung der Heranwachsenden auf die neuen Anforderungen der Arbeitswelt und den sich verschärfenden internationalen Konkurrenzkampf um Überlebensmöglichkeiten der Lohnarbeit untergeordnet werden würde.

STANDARD: Was wird falsch gemacht?

Ribolits: Ich gehe davon aus, dass (Bildungs-)Politiker und Topverantwortliche im Bildungsbereich sehr wohl erkennen, dass es einen unüberwindlichen Widerspruch zwischen dem traditionell behaupteten Bildungsanspruch von Schule, Ausbildung und Universität auf der einen Seite und der totalen Unterordnung der intellektuellen Fähigkeiten von Menschen unter die Zwänge der Konkurrenz auf der anderen Seite gibt. Da geht es einerseits um das Ideal des mündigen Subjekts, das gelernt hat, sich am Ziel eines möglichst selbstbestimmten Lebens zu orientieren, und andererseits um Menschen, die bereit sind, selbst ihre ganze Persönlichkeit, samt ihren Sehnsüchten, Idealen und Leidenschaften, dem Anspruch der Verwertung zu unterwerfen. Es wäre höchste Zeit, dass Politiker diesen aktuell einem neuen Höhepunkt zustrebenden Widerspruch in einer allgemein verständlichen Form kommunizieren und einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion zuführen.

STANDARD: Wie und wo zeigen sich die Defizite bei der sachlichen wie der persönlichen Berufseinstellung?

Ribolits: Im Gegensatz zur vordergründigen Klage über eine quasi intellektuelle Verweigerung von Jugendlichen, die sich in massiven Schwächen bei den notwendigen Grundkompetenzen zeigt, halte ich das Problem für weitaus tiefer gehend. Ein Großteil der heute an der Schwelle des Arbeitsmarktes stehenden Jugendlichen hat nicht gelernt, den Widerspruch zwischen dem etwas in die Jahre gekommenen Ideal des guten Lebens und der heutzutage nahezu allgemeinen Notwendigkeit, nur auf Basis von entlohnter Arbeit sein Leben fristen zu können, produktiv zu verarbeiten. Für sie stellt sich nur die Alternative der Flucht in die blinde Verweigerung oder der in der Selbstaufgabe mündenden Unterordnung. Offenbar ist der dialektische Bildungsappell Erich Kästners "Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, den Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken" bei ihnen nicht einmal in Ansätzen angekommen.

STANDARD: Wird nicht in absehbarer Zeit angemessen gehandelt, womit ist dann zu rechnen?

Ribolits: Aufgrund der skizzierten Entwicklung wird der Bedarf an Fachkräften im Produktionssektor in den nächsten Jahrzehnten weiter zurückgehen. Daraus ergeben sich soziale und politische Folgen, die ich für höchst problematisch halte. Menschen, die aufgrund ihrer mangelhaften Bildung nur eingeschränkt die Möglichkeit haben, die systembedingten Mechanismen zu begreifen, die die gesellschaftlichen Entwicklungen vorantreiben, gehen besonders leicht populistischen Verführern auf den Leim. Wenn sie noch dazu an den sozialen Rand abgedrängt werden, steigt ihre Bereitschaft, die Schuld für ihre Situation beim falschen Verhalten anderer zu orten. Ein entsprechend radikalisiertes gesellschaftliches Zusammenleben wäre die Folge. Es wäre also hoch an der Zeit, den technologiebedingten rückgängigen Bedarf an menschlichen Arbeitskräften ernst zu nehmen und Konsequenzen zu diskutieren, die nicht bloß im Versuch bestehen, beim internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb gut abzuschneiden. (Hartmut Volk, ManagementStandard, 13./14.9.2014)