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Langsam denkt die Branche um, der "Guardian" macht's vor.

Foto: Reuters/Plunkett

Wien - Zur Beförderung des guten Tonfalls im Digitalen ist Mehrweg-Kommunikation oberstes Gebot. "Falter"-Journalistin Ingrid Brodnig betont es immer wieder: Journalisten müssten in Foren selbst mitdiskutieren - wenn bei aller Virtualität Menschen als Gegenüber sichtbar werden, geht es weniger aggressiv zu. Dirk von Gehlen hat es neulich in der "SZ" auf den Punkt gebracht: Medienunternehmen dürften sich über den Tonfall im Netz nicht wundern, pflegten sie doch selbst seit langem das "Provokationsprinzip".

Der moderne Leserclub

Langsam denkt die Branche um: an User Engagement. Wie neue Foren- und Kommentarlösungen zum guten Ton beitragen können. Wie überhaupt das Verhältnis zwischen Medium und Leser ein ganz anderes werden kann. Und wie zeitgemäße Membership-Programme aussehen können, die nicht nur der Einnahmen-Vermehrung, sondern auch der Markenbindung und dem digitalen Datensammeln dienen. Der "Guardian", bei der Neugestaltung des Verhältnisses Journalist–User mit seinem Konzept des "Open Journalism" schon lange Vorreiter, tut es wieder einmal im großen Stil: Das neue Membership-Programm wurde gestartet. Jetzt kann man wirklich dazugehören. Als Mitglied. Nicht nur digital, sondern auch physisch.

"You'll have a great time"

Schon ab Herbst werden in ganz Großbritannien und darüber hinaus zahlreiche "Guardian"-Membership-Events stattfinden. Ein Live-Interview mit Jimmy Page. Oder mit Vivienne Westwood. Mitglieder sind, so das Konzept, nicht einfach Abonnenten, die ein paar Goodies erhalten. Sie sind Teil der Debatten, Teil der Ideen, Teil der Konversationen, sie können das Medium und gleich auch die "Idee, was Journalismus selbst ist", mitgestalten, das verheißt der "Guardian" seinen künftigen Mitgliedern. "And you'll have a great time." "Patrons", höchste Stufe im dreiteiligen Membership-Programm, Beitrag 60 Pfund im Monat, erhalten einen Backstage-Pass zum "Guardian" inklusive Newsroom-Touren, Druckereibesuchen und Einblicken in die Redaktionsabläufe. Und können Gastgeber eigener "Guardian Live"-Events sein. Das bindet, das schafft Loyalität. Der "Guardian" - strikte Anti-Paywall-Politik - hat weltweit 105 Millionen Leser, online. Verkaufte Auflage Print: rund 200.000. Wenn nur einige Prozent der globalen Leser zahlende Mitglieder werden, werden Beziehungen gestärkt, dann geht die Strategie auch ökonomisch auf.

2.800 Quadratmeter zur Entspannung

Aber der große Wurf kommt noch: Gleich neben dem "Guardian"-Headquarters in London entsteht in einem alten Lagerhaus auf 2.800 Quadratmetern der zweistöckige "Guardian Space". Wer das Redaktionsgebäude in King's Cross kennt, ahnt, dass auch der neue Space sehr zeitgeistig, sehr schick wird. Ab 2016 sollen dort jede Woche Dutzende (!) Events stattfinden. "Wir werden", schreibt "Guardian"-Chefredakteur Alan Rusbridger, "Diskussionen, Events, Screenings veranstalten - und für alle Raum zur Entspannung zur Verfügung stellen". Die Rückführung des digitalen Beziehungsmanagements in das Analoge - wie altmodisch, wie modern. (Daniela Kraus, derStandard.at, 12.9.2014)