Brunello Cucinellis Biografie ist jene eines Selfmademannes, der es vom Bauernsohn zu einem der erfolgreichsten Männer Italiens geschafft hat. Sein Unternehmen Brunello Cucinelli notiert seit 2012 an der Börse. Die Halbjahresbilanz zeigt Ergebniszuwächse: einen Umsatz von 175,8 Millionen Euro (plus 11,6 Prozent gegenüber Juni 2013), einen Nettogewinn von 15,6 Millionen Euro (plus 17,8 Prozent), dazu 15 Prozent Wachstum auf den internationalen Märkten, auf die fast 80 Prozent des Umsatzes entfallen.

Cucinellis Mitarbeiter werden besser bezahlt als jene in anderen Unternehmen, sein Betrieb ist luxuriös wie eine Wellnessoase. Seine Produkte - ursprünglich nur Kaschmirstrickware, inzwischen auch Textilien, Schuhe, Accessoires und Wohntextilien - sind edel. Sein "Reich" heißt Solomeo, ein 500-Einwohner- Dorf mit einer mittelalterlichen Burganlage nahe Perugia in Umbrien, die er jahrelang restauriert hat.

Hier gibt es eine Handwerkerschule, eine Kantine für die 800 Mitarbeiter (eher ein Haubenrestaurant), ein Theater, ein Amphitheater, eine Bibliothek, eine Stiftung, einen Philosophengarten, eine Kirche. Die Fabrik ähnelt eher einem Atelier mit feinster Einrichtung und Dominanz von Weiß und Licht. In Solomeo wird aber hart gearbeitet: Il "tedesco", der Deutsche, wie Cucinelli sich selbst nennt, verlangt von seinen Mitarbeitern viel.

STANDARD: Welche Philosophie haben Sie für Ihre Firma?

Cucinelli: Mein Unternehmen ist mit dem Ziel gegründet worden, der Arbeit moralische und wirtschaftliche Würde zu geben. Arbeiten, ohne den Menschen Schaden zuzufügen, das ist das Ziel, Menschen mit Respekt zu behandeln. Respekt erzeugt Verantwortung, und Verantwortung bringt Kreativität. Es gelten aber klare Regeln, Disziplin und Arbeitsethik.

STANDARD: Während in der Region die Arbeitslosigkeit steigt, wachsen in Ihrem Unternehmen die Zahl der Beschäftigten und der Umsatz. Wie geht das?

Cucinelli: In Solomeo arbeiten 800 Personen von 1250 weltweit, davon 15 führende Manager. Das Durchschnittsalter liegt bei 36 Jahren, bei den Managern bei 39. Weltweit sind wir in 650 Geschäften vertreten, und es gibt mehr als hundert reine Cucinelli-Läden. Die Mitarbeiter werden um 20 Prozent höher bezahlt als anderswo. Und es gibt noch einmal zwanzig Prozent dazu, wenn sie handwerkliches Geschick beweisen. Manager verdienen maximal sieben- bis achtmal so viel wie Handwerker. Die Vereinigten Staaten, Europa, Asien sind unsere wichtigsten Märkte. Die Kaschmirwolle wird in der Mongolei und in China gekauft. Wir produzieren ausschließlich Prêt-à-porter made in Italy. 85 Prozent des Umsatzes stammen von der Bekleidung, 15 Prozent von Accessoires: ein guter Mix.

STANDARD: Sie notieren seit 2012 an der Börse und verfügen derzeit über eine Kapitalisierung von 1,3 Milliarden. Wie haben Sie die Zukunft Ihrer Firma abgesichert?

Cucinelli: Man kann das Eigentum an einem Unternehmen vererben, aber nicht den Unternehmergeist. Aus dieser Überzeugung sind zuerst der Börsengang (2012), dann der Generationenpakt (2013) und zuletzt der Trust (2014) geboren worden. Der Generationenpakt sieht vor, dass ein Manager mit 60 Jahren aus seiner Funktion ausscheidet, und dann Senior-Berater wird. So wird ein CFO (Chief Financial Officer, Anm.) zum Vize-CFO oder Vice-CEO (Chief Executive Officer, Anm.). Das garantiert eine gute Übergabe zwischen jungen und erfahrenen Managern. Mit 65 geht man auf jeden Fall in Pension. Die Stiftung (Trust), in die die GmbH und Solomeo eingebracht wurden, soll garantieren, dass auch nach meinem Tod das Unternehmen intakt bleibt und nicht zerstückelt wird. Sie dient auch dazu, den "Borgo Solomeo" (der Flecken Solomeo, Anm.) zu schützen. Meine Töchter Camilla und Carolina verstehen sich sehr gut, aber man muss daran denken, was in 50 Jahren sein wird.

STANDARD: Wegen der Krise müssen viele Betriebe schließen: Sind Luxusprodukte die einzige Hoffnung für den Westen?

Cucinelli: Klar ist, dass wir Europäer sehr stark in Sachen Luxus sind. Europa heißt hohe Qualität. China soll nicht als Gefahr gesehen werden, sondern als große Chance: Chinesen, Inder, Südamerikaner sind von unseren Produkten sehr angezogen, die kaufen keine Kopien, die wollen echten französischen Champagner, echte deutsche Autos oder echtes italienisches Design. Heute spart man mehr, der Überschuss sinkt. Ich glaube, wir befinden uns in einer neuen Ära. Wir beginnen eine gerechte Beziehung zu den Dingen zu entwickeln. Ich verbrauche weniger als vor einem Jahr. Unsere Aufmerksamkeit gegenüber der Welt, den Menschen, der Erde hat sich verändert. Das Bewusstsein ist größer geworden.

STANDARD: Sie haben Anfang September ein Geschäft in Wien eröffnet: Was verbindet Sie mit dieser Stadt?

Cucinelli: Ich bin den Österreichern sehr dankbar, weil sie wie die Deutschen meine ersten Pullover gekauft haben. Sie waren meine ersten Kunden. Ich fühle mich an den Markt Österreich/Deutschland/Schweiz gebunden und bin sehr von der Kultur Nordeuropas angezogen, die auf Kaiser, Musiker, Philosophen zurückgreift. Von Mozart bis Wittgenstein, von Goethe bis Friedrich den Großen. Ich finde, Wien ist eine großartige Hauptstadt, eine der wirklich echten, großen europäischen Hauptstädte.

STANDARD: Man könnte Sie mit vielen Bezeichnung versehen: Unternehmer, Mäzen, Humanist, Philosoph, Philanthrop, Patriarch oder einfach italienischer Selfmademan. Wie würden Sie sich bezeichnen?

Cucinelli: Vor allem würde ich gerne als anständiger Mensch gesehen werden, das war der Traum meines Vaters. Er war ein einfacher Bauer, der sein Leben lang geackert hat. Ich möchte das menschliche Dasein auf der Welt verbessern, und mir gefällt es, daran zu arbeiten, das Leben für die Menschheit schöner zu machen. Wir alle haben eine soziale Verantwortung und die Aufgabe, Bewahrer der Menschheit zu sein, oder, wie der Papst sagt, Bewahrer der Schöpfung. Ich bin überzeugt, dass wir uns einer neuen Renaissance nähern und dass die Zivilisationskrise, die rund 30 Jahre gedauert hat, hinter uns liegt. Gute Politik, Familie, Religion oder Spiritualität sollten heute unsere Ideale sein. Trotz aller pessimistischer Unkenrufe glaube ich, dass unser Jahrhundert ein goldenes sein wird. Wenn man Solomeo, dieses kleine Paradies sieht, denkt man an eine neue Renaissance, eine Rückkehr oder Wiederentdeckung eines Italiens der "botteghe" (Geschäfte, Anm.), der Handwerker, der Traditionen.

Ganz richtig: Ich habe mich entschieden, Produkte höchster Exklusivität und handwerklicher Qualität nur in Italien zu erzeugen, daher sind sie logischerweise eher teuer. Dazu brauchen wir Menschen: Wie kann ich einen jungen Menschen für 1000 Euro, die nach drei Jahren 1300 sind, bei der Arbeit motivieren? Es muss eine würdige Entlohnung geben. Arbeit soll gerecht bezahlt werden, mehr als üblich, und auch die Umwelt und das Klima rundherum sollen schön sein. (Flaminia Bussotti, ManagementStandard, 13./14. 9.2014)