Joan Miró: "Katalanischer Bauer mit Gitarre" von 1924.

Foto: Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid

Wien - Der Tod der Malerei war Joan Miró nicht genug. "Die Surrealisten haben, wie man weiß, den Tod der Malerei verordnet. Ich will den Mord", sagte er 1930. Es war weder das erste noch das letzte Mal, dass der 1893 in Barcelona geborene Künstler, dem die Albertina nun eine große Retrospektive widmet, diesen Wunsch äußerte.

In Paris und unter dem Einfluss der Surrealisten hatte Miró 1924/25 begonnen, sich vom Sichtbaren zu entfernen. Seine Figuren lösen sich in Linien auf, verkürzen sich auf Symbole: Zwei gelb umrandete Kreise? Wache, in alle Richtungen blinzelnde Augen. Ein paar von einer Linie herabhängende Locken? Ein Zauselbart. Eine rote Welle? Ein Haarschopf. Fertig war der Kopf eines katalanischen Bauern. Die Dichtung und das Prinzip des unkontrollierten Gestaltens, die Écriture automatique, trieben Mirós Abstraktion voran - oder vielmehr die Entwicklung seiner Zeichenhaftigkeit: "Ich verband das Wirkliche mit dem Mysteriösen."

Angefeuert von den Theorien zum Formlosen seines Freundes, des Schriftstellers und Philosophen Georges Batailles, wird seine Verachtung konventioneller Malmethoden aber größer, der Wunsch, die Grenzen der Malerei aufzusprengen - sie zu morden -, drängender. "Das Einzige, was mich interessiert, ist der Geist an sich." Eine Phase des Experimentierens mit Materialien beginnt: Collagen aus Dachpappe, Struktur-, sogar Schleifpapier wird Bildträger, ungrundierte Holzfaserplatte Basis grober Malgesten. Raues, Schäbiges für ein Formwollen, das nicht schön sein will.

Angst bahnt sich ihren Weg

Wilde Bilder. Wilde Jahre. Sie verlaufen auch zeitgleich zu seiner Rückkehr von Paris nach Spanien im Jahr 1932. Aber die Hoffnungen auf eine liberale Regierung erfüllen sich nicht. Die Rechtsparteien kommen 1934 an die Macht, 1936 bricht der Spanische Bürgerkrieg aus. Ängste vor der faschistischen Bedrohung bahnen sich den Weg auf seine Leinwände, zu jener Zeit mehr Albtraum- denn Traumbilder: "Als ich über den Tod nachdachte, kam ich dazu, die Monster zu schaffen, die mich gleichzeitig anzogen und zurückstießen."

Schwarzgeränderte Amöbenwesen fletschen die Zähne, tragen unheilvolle Öffnungen in ihren deformierten Körpern; ihr Innereres scheint aus lodernden Feuern zu bestehen. Knüppel, Waffen, Galgen meint man zu erkennen. Menschen, deren Gesicht nur noch aus einem Angst-Auge besteht, die Arme nach den Vögeln, also der Freiheit, ausstreckend. In den Arbeiten auf Papier jener Jahre wird die Bedrohung noch existentieller spürbar. Eine politische Erlösung folgt nicht, sondern die bis 1974 dauernde Franco-Diktatur.

Dieser düstere, ernste, auch aggressive Miró fällt in der chronologischen Ausstellung der Albertina nicht so sehr ins Gewicht. Man kann das Unangenehme, Ungewohnte, das so gar nicht Vertraute schnell durchschreiten. Der Grundtenor der Schau folgt eher dem Zitat: "Wir Katalanen glauben, dass man die Füße immer fest am Boden haben muss, wenn man in die Luft springen möchte". Von der Erde zum Himmel, so heißt auch die Retrospektive.

Der Titel stehe für den Boden Kataloniens, der Miró geerdet habe, Motiv seines Frühwerks, sowie seinen steten Wunsch nach Freiheit, sagt Jean-Louis Prat, der gemeinsam mit Gisela Fischer diese Reise vom Ocker zum tiefen Blau kuratierte. Faszinierend ist diese allemal: Dem aufmerksamen Auge wird nicht entgehen, wie Miró bereits 1919 Vegetation in schwingende Linien auflöste, wie die Liebe zum Ornament und zur kubischen Form Mirós spätere Zeichen und Kürzel vorbereitet.

Was trotzdem fehlt, ist der späte Bildermord! Nur 2001, im Wiener Kunstforum, war ein Beispiel dieser zerschlitzen, angekokelten Toiles brûlées zu sehen. Sie entstanden 1973: Miró war damals 80, seine farbenfrohen, poetischen Werke mit den Monden und Sternen galten längst als Klassiker. Er war Gefangener seines Stils. Gemordet wurde mit Flammen. Seine Galeristen ignorierten diese Arbeiten. Mirós Enkel Joan Punyet beschrieb sie als Ausdruck des Kampfes seines Großvaters gegen das Franco-Regime. Auch die Albertina entschied sich leider für ein mildes Ende. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 12.9.2014)