Linz - Das kollektive Morden im Namen einer Nation oder Religion erlebt gegenwärtig eine unheilvolle Renaissance. Insofern ist Walter Braunfels' Oper Ulenspiegel von erschreckender Aktualität. Der Titelheld ist hier nur zu Beginn ein Narr und Anarchist, der alle Autoritäten verhöhnt; zum Ende wandelt er sich in einen Kriegsfanatiker, einen Warlord im Auftrag seiner Religion: "Kämpfet heiligen Kampf!" Ziel ist die Befreiung der protestantischen Bevölkerung Flanderns von der spanischen Herrschaft Philipps II.

Doppelt interessant ist das Stück, wenn man seine Geschichte betrachtet: Der am Vorabend des Ersten Weltkriegs komponierte Ulenspiegel ist eine heroische Oper, Braunfels zog selbst mit patriotischen Gefühlen in den Krieg und wurde an der Front verwundet. Schockiert von seinen Erlebnissen, wandelte er sich zum Humanisten und trat in die katholische Kirche ein. Seinen antikatholischen Ulenspiegel zog der Komponist zurück.

Dass Krieg jeden Menschen, auch den vermeintlichen Helden, zum Monster macht, zeigt Roland Schwabs Inszenierung der Oper, die von der Gruppe EntArteOpera zum Auftakt des Brucknerfests in der Linzer Tabakfabrik gezeigt wird. Susanne Thomasberger hat ein apokalyptisches Mad Max -Szenario in die hohe, dunkle Säulenhalle gebaut, zwischen ausgebrannten Autowracks fetzen sich die in schwarze Lederkluft gesteckten Spanier mit Niederländern im Trachtenlook.

Schwab scheint ein Motivationsgenie zu sein: Solisten, Choristen (EntArteOpera Chor, Leitung: Franz Jochum) und Statisten agieren mit beängstigender Intensität und physischer Dringlichkeit. Till Ulenspiegel (furios: Marc Horus) mutiert vom beseelten Energiebündel zur seelenlosen Kampfmaschine, sein einst feuriger Blick wird starr und leer. Sein Vater Klas (intensiv, berührend: Hans Peter Scheidegger) wird von den Spaniern zu Tode gefoltert, seine geliebte Stiefschwester Nele (Christa Ratzenböck) wirft sich schützend vor Ulenspiegel, als der Profoss (mit stahlhartem Tenor: Joachim Goltz) ihn erschießen will.

Brauenfels' Musik ist grandios. Spätromantischer Schwüle und modernen Dissonanzen eher abhold, ist sein Ulenspiegel in seinem harmonischen Gepräge konservativ, handwerklich jedoch exzellent komponiert.Werner Steinmetz bewahrt in seiner Bearbeitung für Kammerorchester den klanglichen Reichtum der Musik; Martin Sieghart und das mit einheimischen Kräften verstärkte Israel Chamber Orchestra setzen die Partitur meist respektabel und gewinnend um.

Walter Braunfels (1882-1954) war in den 1920er-Jahren einer der meistgespielten deutschen Opernkomponisten; von den Nazis als "Halbjude" klassifiziert, waren seine Werke bis 1945 verboten. Eine zaghafte Braunfels-Wiederentdeckung begann in den letzten Jahren: Seine Jeanne d' Arc fand etwa 2013 zu den Salzburger Festspielen. Schade, dass den großen Wiener Opernhäuser der Mut fehlt, vergessene Schätze zu präsentieren. Und Hut ab vor dem Entdeckergeist in Linz, wo man 2013 mit Schrekers Der Schatzgräber ähnlich Tolles leistete. (Stefan Ender, DER STANDARD, 12.9.2014)