Im Juni wurden Ergün Kuzugüdenli (2. v. li.) und Hassan Vural (re.) von Walter Ruck (Mitte) noch als Spitzenkandidaten präsentiert. Jetzt heißt es plötzlich, das sei noch nicht entschieden.

Foto: Wirtschaftsbund

Ekrem Gönültas (SPÖ) steht für die Millî-Görüs-Bewegung.

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Wien – Was der Wiener Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck im Sommer im Kreise türkischer Journalisten präsentierte, ging in den medialen Nachwehen des umstrittenen Erdogan-Besuchs fast unter: Erstmals dürfen bei Kammerwahlen im Frühjahr 2015 türkische Staatsbürger kandidieren und wählen.

Die Entscheidung ist der nächste Schritt der Regierungsparteien, sich nach einem jahrzehntelangen Desinteresse den türkischen Migranten zuzuwenden und sie als Wähler zu umgarnen – schließlich sind im gleichen Jahr auch Wahlen in Wien, und bis zu 80.000 Türken in Österreich sollen eine Doppelstaatsbürgerschaft besitzen.

Fehden auf Facebook

Die SPÖ bringt ihre Leute im Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband in Stellung, die ÖVP ihre im Wirtschaftsbund, wo Ruck auch als Obmann fungiert. Doch, so scheint es, hat sich keine Seite Gedanken gemacht über die politischen Einstellungen ihrer Kandidaten: Noch bevor der Wahlkampf offiziell eingeläutet ist, befehden sich hinter den Kulissen die unterschiedlichen Lager. Vor allem in den Social-Media-Kanälen wird beschimpft und beschuldigt, was das Zeug hält.

Als Ergün Kuzugüdenli auf Facebook als Spitzenkandidat des Wirtschaftsbundes vorgestellt wurde, reagierte Dagmar Dittrich mit Entsetzen und reagierte mit kritischen Kommentaren auf das Foto.

Stunden später habe sie drohende SMS und Anrufe erhalten, erzählt sie. Ihr Mail mit den Bedenken an Obmann Ruck blieb hingegen unbeantwortet. "Ich wurde als Querulantin hingestellt", sagt Dittrich. "Alle erhoffen sich Wählerstimmen, aber das ist falsch verstandene Integrationspolitik."

Vorwurf des Markenbetrugs

Auch Admir Alimi, ein mazedonischstämmiger Unternehmer, hat sich per Mail an Ruck gewandt – Kuzugüdenli habe ihm seine Geschäftsidee gestohlen und ihn bedroht, bekräftigt er im Gespräch mit dem STANDARD. Auch ein zweiter, noch ungeklärter Markenrechtsstreit mit einer türkischen Geflügelfirma wird immer wieder ins Spiel gebracht.

Kuzugüdenli hingegen schäumt: Er habe die Staatsanwaltschaft informiert und Unterlassungsschreiben verschickt. "Alle Behauptungen gegen mich sind unwahr. Ich bedrohe niemanden, ich werde selbst bedroht", sagt er. Sein Anwalt schickt später Screenshots zu angeblich gefälschten Facebook-Profilen, die alle von einer IP-Adresse stammen sollen und Kuzugüdenli vulgär beschimpfen.

Während sich im ÖVP-Umfeld mehrheitlich AKP-nahe Mitglieder tummeln, ist spätestens mit dem Antreten von Ekrem Gönültas bei den Nationalratswahlen 2013 die Nähe zur Millî-Görüs-Bewegung bei der SPÖ definiert. Mit fast 13.000 Vorzugsstimmen hatte Gönültas zwar nicht genug, um direkt ins Parlament einzuziehen, aber es reichte, um den Wiener Parteistrategen zu imponieren.

Wahlkampf in der Moschee

Doch Gönültas erreichte dieses außerordentliche Ergebnis nicht ohne Zutun Dritter. So konnte er sich landesweit in den Moscheevereinen der Islamischen Föderation präsentieren, sein Wahlkampf wurde vom Pressesprecher der Islamischen Föderation Wien (IFW), Yakup Geçgel, betreut. Hinterher wurde ihm vorgeworfen, Stimmzettel in einer Moschee manipuliert zu haben. Die Anschuldigung stamme aus der Ecke seiner politischen Gegner, ließ Gönültas, seit 2009 Vizepräsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes, ausrichten.

Die bevorstehende Wiener Landtagswahl wird nicht nur über das Schicksal der rot-grünen Stadtregierung entscheiden, sondern auch darüber, wer sich innerhalb der türkischstämmigen Konservativen behaupten wird. Die Aufsplittung zwischen ÖVP und SPÖ erfolgt also nicht willkürlich.

Die Regierungsparteien haben vermutlich unbeabsichtigt die beiden konkurrierenden Lager aktiviert. Weder die SPÖ noch die ÖVP würden ihre Kandidaten kennen, kritisiert ein türkischstämmiger Funktionär. "Das sind Opportunisten auf Stimmenfang, die sich infiltrieren lassen." Ein Sprecher des Wirtschaftsbundes beteuert, es handle sich um "privatrechtliche Streitereien", man wolle sich nicht einmischen. Entgegen der Ankündigung auf der Website sei die Entscheidung aber noch nicht gefallen, wer als Kandidat ins Rennen geschickt wird.

Unabhängig davon, wer sich innerhalb der Community behaupten wird, ist die Herausforderung für die heimische Politik klar: Konservative Muslime wollen nun stärker politisch partizipieren, und die heimische Politik wirkt unentschlossen, wie sie damit umgehen will. (Rusen Timur Aksak, Julia Herrnböck, DER STANDARD, 11.9.2014)