Unterschiede zu finden zwischen Schottland und dem Rest Großbritanniens fällt nicht schwer, schließlich sind sie seit der Union von 1707 festgeschrieben. Damals behielt das bankrotte Königreich im Norden seine Kirche, sein Schul- und Justizsystem - wenn auch die Volksvertretung ins Parlament von Westminster in London integriert wurde.

Dieselbe Königin, nämlich Anne, regierte ohnehin bereits in Personalunion. Binnen weniger Jahrzehnte florierte Schottland, und mit ihm der Rest des Landes. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, der Aufstieg der Briten zur europäischen Großmacht, das globale Empire wären nicht möglich gewesen ohne schottische Staatsmänner, Philosophen, Kaufleute und Soldaten.

Seit die Londoner Zentralregierung 1999 der begrenzten Autonomie samt eigenem Regionalparlament den Weg ebnete, sind die Unterschiede aber eher größer geworden. Schottland ist anders - kein Zweifel. Aber ist es auch anders genug, um Großbritannien mit Erfolg den Rücken zu kehren? Welche Folgen hätte dies für das Land selbst, für Klein-Britannien, für Europa und die Welt?

Alles wird besser, behaupten die Nationalisten wenige Tage vor der Volksabstimmung über die Zukunft der Region im Norden. Das Referendum wurde möglich durch den Sieg der Nationalpartei SNP unter ihrem charismatischen Vorsitzenden Alex Salmond bei der jüngsten Wahl zum Edinburgher Regionalparlament. Mit 44 Prozent der Stimmen holten die Nationalisten 2011 die absolute Mehrheit der Mandate. David Cameron, dem Chef der konservativ-liberalen Koalition in London, blieb keine andere Wahl als der Forderung der Schotten nach dem Referendum nachzugeben.

Die Frage am 18. September lautet simpel: "Stimmen Sie zu, dass Schottland eine unabhängige Nation werden soll?" Nationalisten können also freudig Ja sagen - deren Gegner sind hingegen zu Neinsagern abgestempelt. Dieses Handicap hat der Dachverband der Unionsbefürworter "Besser gemeinsam" nie abgelegt, im Gegenteil: Von Anfang an klang die Kampagne negativ, warnte vor Risiken, malte Schwierigkeiten an die Wand - anstatt das Positive der Gemeinsamkeiten in der sechstgrößten Industrienation der Welt zu betonen.

Hingegen setzen Salmond und seine Leute auf sonnigen Optimismus. Alle Probleme des Landes - die alternde Bevölkerung, die Schwierigkeiten im Gesundheitssystem, die mangelnde Produktivität - schieben sie London in die Schuhe. Alle kritischen Fragen nach der zukünftigen Währung des unabhängigen Landes, nach Schottlands EU- und Nato-Mitgliedschaften werden ebenso vehement wie routiniert als "Bluff und Mobbing" abgetan. Presse und Opposition in Edinburgh sind schon so eingeschüchtert, dass sie dem blanken SNP-Populismus nichts entgegensetzen.

Im Europa des Jahres 2014 kann sich ein mächtiges Land wie Russland ungestraft das Territorium des ohnmächtigen Nachbarn Ukraine einverleiben. Dass gleichzeitig das kleine Schottland seine 300 Jahre alte erfolgreiche Union mit dem viel größeren Nachbarn England sprengen und Großbritannien auf friedliche Weise verlassen könnte, spricht für den zivilen Umgang auf der Insel.

Aber den Londoner Subventionen zu entsagen, sich der Willkür der Finanzmärkte zu überlassen und den verunsicherten Westen zu schwächen, wäre eine unverzeihliche Dummheit. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 9.9.2014)