In manchen Teilen der "Netzgemeinde" herrscht eine romantisierende Vorstellung über die Kräfteverhältnisse im World Wide Web. Das Netz stellt Informationen einfach und kostengünstig für alle beinahe schrankenlos bereit; folglich müsse das Netz egalitär und antihierarchisch sein. Außer Acht wird dabei jedoch die Rolle Googles gelassen. Der Suchmaschinengigant kann entscheiden, welche Informationen Europas Nutzer erhalten und welche ihnen vorenthalten werden. Google steht somit an der Spitze der digita- len Nahrungskette und thront über der europäischen Internetwirtschaft.

Google ist das Tor zum Internet. Jede Sekunde verarbeitet der Suchmaschinengigant weltweit 40.000 Suchanfragen, etwa 3,5 Milliarden Suchanfragen pro Tag und 1,2 Billionen jährlich. In Europa laufen über 90 Prozent aller Suchanfragen über Google. Der Konzern aus Mountain View, Kalifornien, hält das Quasimonopol am Search-Markt auf unserem Kontinent. Googles Suchergebnisse sind nicht das Resultat eines neutralen und objektiven Auswahlmechanismus. Google listet seine eigenen Dienste ganz nach oben, obwohl sie längst nicht immer zu den relevantesten Antworten auf die Suchanfrage gehören. Gleichzeitig dringt Google in neue Geschäftsfelder vor und erstreckt sein Angebot auf die mit Ab- stand erfolgreichste Videoplattform, Preisvergleichsseiten und einen Kartendienst.

Hervorragende Alternativen

Google-Dienste schnüren vielen europäischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft die Luft zum Atmen ab. In Deutschland ist daher unter der Federführung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Justizminister Heiko Maas eine Diskussion über die Zerschlagung Googles entbrannt. Viele wissen beispielsweise gar nicht, dass es hervorragende europäische Alternativen zu Google Maps gibt. Wie soll ein Wettbewerb entstehen, wenn Google neben sich keine Konkurrenz zulässt? So wäre es ein Leichtes für Google, europäische Internet-Start-ups, die der Vormachtstellung des Konzerns gefährlich werden könnten, in den Suchmaschinen-Rankings zurückzureihen. Somit hätte man sich elegant eines potenziellen Rivalen entledigt. Denn wer im Netz nicht gefunden werden kann, hat keine Chance auf Erfolg.

Die Europäische Kommission will Google seit vier Jahren Zugeständnisse abringen, um eine faire Suche zu gewährleisten. Google hat unter dem Eindruck dieser Ermittlungen Zusagen angeboten, um das Verfahren zu beenden. Doch keine dieser Zusagen würde die Wettbewerbsbedenken ausräumen. Durch den vorgeschlagenen "Kompromiss" - Top-Rankings nach dem Motto "Wer bietet mehr" zu versteigern - würden Marktverhältnisse einzementiert und Googles Marktdominanz in Europa sogar verfestigt.

Die Folge wäre ein Dornröschenschlaf für Europas digitale Wirtschaft. Die Europäische Kommission darf daher dem Kompromiss mit Google nicht zustimmen. Sie muss der Bevorzugung eigener kommerzieller Dienste durch den Quasimonopolisten ebenso den Riegel vorschieben wie dem Verkauf von Bestplätzen in Suchergebnissen statt objektivem Fair-Search. Nur so kann ein fairer Wettbewerb für europäische Nutzer sichergestellt werden.

Aber auch Österreich kann seinen Beitrag leisten: Mit einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage, wie es bereits in Spanien und Deutschland existiert, können Medienunternehmen ihre Inhalte auch im Web vor der kommerziellen Ausbeutung Dritter schützen. In verwandten Branchen, wie der Musik- und Filmindustrie, sind Leistungsschutzrechte nützliche Instrumente, um Trittbrettfahrer und auch Piraterie zurückzudrängen. Den Zeitungen fehlt dieses Recht noch. Die europäische und nationale Politik muss sich mit ihren Entscheidungen der Geschwindigkeit der digitalen Welt annähern. Wir brauchen rasch bessere Rahmenbedingungen, um bei den Umwälzungen der digitalen Welt nicht unter die Räder zu kommen. (Gerald Grünberger, DER STANDARD, 9.9.2014)