Die Börsen Großbritanniens haben am Montag einen Vorgeschmack auf die Folgen einer Spaltung des Landes gegeben. Das Pfund fiel auf den tiefsten Stand seit zehn Monaten, und die Aktien großer in Schottland ansässiger Firmen gaben um bis zu drei Prozent nach. Die Finanzwelt reagierte damit auf eine am Wochenende veröffentlichte Umfrage, die erstmals die Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands knapp mit 51 zu 49 Prozent vorn sah. Die Unionisten hoffen nun auf die Mobilisierung der Kräfte innerhalb der oppositionellen Labour-Party.

Deren Vorsitzender Edward Miliband nutzte eine Rede vor dem Gewerkschaftskongress zu einem dramatischen Appell an Schottland: "Gemeinsam stehen wir für die wahren Traditionen der Arbeiterbewegung und für die soziale Gerechtigkeit!"

Beide Seiten der Debatte stimmen darin überein, dass das Ergebnis vom Verhalten traditioneller Labour-Wähler, vor allem im Großraum Glasgow, abhängt. Die detaillierten Zahlen des YouGov-Instituts nannten als Ursache für den Vorsprung der Nationalisten unter Alex Salmond deren zunehmende Attraktivität im Arbeitnehmerlager.

Offenbar befürworten viele Labour-Wähler unter 50 die Unabhängigkeit, ältere Wähler bleiben skeptisch. Der Sprecher des Dachverbands der Unionisten "Gemeinsam Besser", Exfinanzminister Alistair Darling, gab sich weiterhin siegesgewiss. "Ich habe immer gesagt, dass die Umfragen knapper werden würden", sagte der Labour-Politiker zur BBC.

Skepsis wegen Methode

Das YouGov-Institut muss sich Fragen zu seiner Methodologie stellen lassen. Dass sich ein Vorsprung des Unionslagers von 22 Punkten binnen fünf Wochen in einen Rückstand von zwei verwandelt haben soll, halten andere Demoskopen für schwer nachvollziehbar. Alle bisherigen Umfragen pflegten teilweise komfortable Mehrheiten für die Befürworter der Union vorherzusagen. Erst in den vergangenen Wochen hat sich der Abstand verringert. Im Durchschnitt liegen die Nationalisten noch immer mit 47 zu 53 Prozent zurück.

Ökonomen warnen seit langem vor einer Kapitalflucht aus Edinburgh. Die künftige Währung bleibt umstritten. Daraus resultiert eine Unsicherheit, die Investoren abschreckt. Große Finanzunternehmen wie die marode Royal Bank of Scotland (RBS) sowie der Versicherer Standard Life haben bereits vor Monaten ihren Umzug nach England angekündigt für den Fall, dass sich Schottland abspaltet. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 9.9.2014)