Richter(schaft) und Journalisten sind sich in den letzten Wochen wenig schuldig geblieben. Gegenseitig wurden Personalauswahl und Qualität der Arbeit infrage gestellt. Unmittelbarer Anlass war das Strafverfahren gegen den Demonstranten Josef S. Kritik an der Justiz kam auch von ausländischen Qualitätsmedien wie ARD, ZDF, Spiegel und Neue Zürcher Zeitung. Die Diskussion gibt Anlass, über die Rollenbilder von Medien und Justiz und das Verhältnis der beiden zueinander nachzudenken.

Die Rahmenbedingungen von Rechtsprechung haben sich in den letzten Jahren massiv verändert. Im Strafrecht ist die Sanktionenpalette breiter, im Familienrecht sind mediative und sozialarbeiterische Elemente wichtig geworden. Einer mitunter aggressiven Litigations-PR, also Öffentlichkeitsarbeit von Verdächtigen und Verfahrensparteien, kann die Justiz aufgrund ihrer Verpflichtung zur Sachlichkeit oft nur beschränkt etwas entgegensetzen. Früher gab es einige Zuhörer im Gerichtssaal. Fernsehübertragungen von Verhandlungen sind nach wie vor unzulässig, doch Journalisten und Aktivisten berichten über Twitter und Liveticker im Internet aus dem Gericht. Sie erreichen in Sekundenschnelle tausende Leser. Sie nennen Namen von Richtern und Staatsanwälten und deren vermeintliche und tatsächliche Fehler. Dies schafft einerseits verfahrensrechtliche Probleme und erhöht andererseits den Druck, unter dem Richter und Staatsanwälte in öffentlichkeitswirksamen Fällen stehen.

Die Bevölkerung erwartet sich von der Justiz heute eine offene, leicht verständliche, nicht länger abgehobene Erklärung der Arbeit von Gericht und Staatsanwaltschaft; nicht nur im einzelnen Verfahren, auch im Großen. In den letzten Jahren wurden viele Richter und Staatsanwälte in Pressearbeit geschult. Richter besuchen Schulklassen, um Jugendlichen die Rechtsprechung näherzubringen.

Richter und Staatsanwälte waren lang in einem Elfenbeinturm tätig. Mittlerweile sind Journalisten regelmäßig Vortragende und Diskutanten in Justizseminaren. Die Entfremdung der letzten Wochen zwischen Medien und Justiz deutet darauf hin, dass diese Begegnungen das Verhältnis zueinander nicht wirklich entkrampft haben. Einerseits lösen Medien nach wie vor Ängste aus; Teile der Justiz sehen die Medien offenkundig nicht als gleichberechtigt und finden auch keinen Draht zur Zivilgesellschaft.

Der moderne Rechtsstaat lebt von "checks and balances", von der wechselseitigen Kontrolle der Staatsgewalten. Bei der Rechtsprechung und damit Bewahrung des Rechtsfriedens steht die Justiz nicht über, sondern neben Gesetzgebung und Verwaltung. Die Rolle der Medien als "public watchdog" hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen betont. Tatsächlich sind viele prominente Strafverfahren der Zweiten Republik nur auf Druck der Medien eingeleitet oder weitergeführt worden: von AKH-, Noricum- und Lucona-Affäre in den 1970er/80er-Jahren bis zu den jüngeren Causen Eurofighter, Buwog oder Birnbacher.

Medien sind daher im Rechtsstaat nicht die Gegner, sondern die natürlichen Verbündeten der Strafjustiz. Beispielhaft zeigt die Korruptionsbekämpfung dieses Zusammenspiel. Nicht selten nimmt die Justiz von den Medien aufgeworfene Bälle auf. Umgekehrt gab es auch Perioden eines schwächelnden Aufdeckungsjournalismus, in denen die Justiz durch konsequente Ermittlungen auffiel.

Die Arbeit der neuen, kompetenten Generation von Aufdeckungsjournalisten, über die Österreich heute verfügt, ist für den Rechtsstaat enorm wichtig - und das ist gerade auch aus Sicht der Rechtsprechung anzuerkennen. Medien und Strafjustiz funktionieren wie kommunizierende Gefäße, zwei Spieler im demokratischen Gefüge, die sich gegenseitig ergänzen. Natürlich existiert auch ein wenig fakteninteressierter Boulevardjournalismus; man muss ihn nehmen, wie er ist, in den Schranken des Medienrechts.

Die letzten Wochen haben eine Sprachlosigkeit der Justizverwaltung offenbart. Das ist schade. Denn die österreichische Justiz liegt in vielen Bereichen (nicht nur bei der - im Vergleich kurzen - Verfahrensdauer) im europäischen Spitzenfeld. Defizite in der Medienarbeit und mangelnde Kommunikation führen dazu, dass diese Leistungen zu wenig ins öffentliche Bewusstsein dringen.

Mediale Kritik an der Justiz ist freilich trotzdem legitim. Richter und Staatsanwälte sind von der Verfassung mit viel Macht ausgestattet, sie greifen täglich in Schicksale ein. Dass sich eine solche Tätigkeit der öffentlichen Kontrolle stellt, ist eine Selbstverständlichkeit - deshalb sind ja Gerichtsverhandlungen öffentlich.

Eine kluge Justizverwaltung wird den Weg der Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit weitergehen, PR-Profis in die tägliche Medienarbeit einbinden und sich offensiv in einer der Rechtsprechung angemessenen Form erklären - Medienarbeit ist eine Bringschuld der Justiz gegenüber der Öffentlichkeit. Im Fall Josef S. hätte eine zeitgerechte, professionell kommunizierte, kurze Klarstellung einer höheren Justizstelle zum unbestrittenen Wert der Demonstrationsfreiheit viele Zweifel zerstreut und die mediale Eskalation verhindert.

Richter bzw. Staatsanwälte und Journalisten sollten verbal rasch wieder abrüsten - beide erfüllen wichtige Aufgaben und verdienen dennoch keinen Sonderstatus. Begegnen sie einander mit Respekt, wird es nicht nur dem Rechtsstaat, sondern auch dem Ansehen beider Berufsgruppen in der Bevölkerung guttun. (Oliver Scheiber, DER STANDARD, 8.9.2014)