I will polish my English": Mit selbstironischen Worten versprach der polnische Premier Donald Tusk in Brüssel, sein Englisch bis Dezember gründlich aufzupolieren. Dann nämlich wird er als EU-Ratspräsident den bisherigen Amtsinhaber Herman van Rompuy aus Belgien ablösen. Dass nur 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und zehn Jahre nach dem Beitritt von neun ehemaligen Ostblockstaaten zur EU ein Pole einstimmig an die Spitze des EU-Rats berufen wird, gilt in Polen als ungeheurer Erfolg.

Das neue Kultbild der Polen ist aber ein anders. Die Foto-Collage zeigt Donald Tusk vor 25 Jahren - blonder Wuschelkopf, weißes T-Shirt, Jeans-Latzhose - und heute - akkurater Kurzhaarschnitt, blütenweißes Hemd, schwarzer Maßanzug aus bestem Zwirn. Geblieben ist nur das bubenhafte Lächeln und das leicht selbstironische Zwinkern der Augen. Mit dem Doppelporträt assoziieren die Polen die große Erfolgsgeschichte seit 1989, als die Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc sich mit den Vertretern der kommunistischen Partei an einen Tisch setzte - der "Runde Tisch" ging in die Geschichte ein - und die Freiheit und Unabhängigkeit des Landes zurückeroberte.

Massenarbeitslosigkeit und Verarmung

Der Freude über die wiedergewonnene Freiheit folgte bald Ernüchterung. Die Transformation der realsozialistischen Volksrepublik mit zentral gelenkter Planwirtschaft in eine Demokratie mit freier Marktwirtschaft löste in einigen Gegenden Massenarbeitslosigkeit und extreme Verarmung aus. Unrentable Staatsbetriebe schlossen von einem Tag auf den anderen. Zurück blieben Arbeitnehmer, die noch nie in ihrem Leben Arbeit gesucht hatten und mit der neuen Freiheit nichts anfangen konnten. Viele begannen zu handeln, andere emigrierten. Auch für Staatsbedienstete war die Lage zunächst alles andere als rosig. Die galoppierende Inflation fraß ihre Gehälter auf. Sie brauchten einen Zweit- und Drittjob, um überhaupt überleben zu können. Zunächst blühten in Polens junger Marktwirtschaft Schwarzhandel und Korruption auf.

Doch mit der Zeit etablierte sich die neue Wirtschafts- und Rechtsordnung. Die Menschen gewöhnten sich daran, dass zur Freiheit auch Verantwortung und ein gewisses Risiko gehört. Immer mehr wagten den Sprung in die Selbstständigkeit. Auch die politische Szene begann sich zu stabilisieren. In den ersten 18 Jahren nach der Wende hatte es keine einzige Regierungspartei geschafft, bei den nächsten Wahlen im Amt bestätigt zu werden. Erst Donald Tusk und seiner liberal-konservativen Bürgerplattform gelang dies vor drei Jahren. Er verlässt das Land nun ein Jahr vor den Neuwahlen 2015. Polen wird auch ohne ihn klarkommen. Das Land ist erwachsen geworden.

Sein Tisch schrieb Geschichte

Andrzej Slesik ist Tischler und gehört zu denen, die es geschafft haben. Mitte der 80er-Jahre war er nach der Berufsschule von einem Staatsbetrieb übernommen und im Oktober 1988 zur Produktion des "Runden Tisches" eingeteilt worden. "Mit diesem Möbel begann die polnische Demokratie", erzählt er in einem Interview. "Es ist ein Tisch, der Geschichte geschrieben hat." Slesik, der noch immer Tischler ist, aber auch Bürgermeister von Somianka bei Warschau, lacht in Erinnerung an die alten Zeiten: "Als 1989 die Gespräche am Runden Tisch begannen, wurde mein erster Sohn Rafal geboren. Das ist also meine ureigene Geschichte. Der Tisch, mein Sohn und die polnische Demokratie sind gleich alt." (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, 6.9.2014)