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Einblick in das Kühlsystem des Datenzentrums einer Google-Filiale: In Dave Eggers' Roman "Der Circle" macht sich ein höher entwickeltes Unternehmen daran, alle menschlichen Daten zu erfassen. Wer nicht mitmacht, wird automatisch zum Sonderling, dem seine demokratische Legitimität abhandenkommt.



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US-Autor Dave Eggers, ein Skeptiker der digitalen Welt.

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Das Unternehmen heißt Der Circle, und was es sich vorgenommen hat, ist so etwas wie die Quadratur des Kreises. Das Internet als unübersichtliche Fülle an Angeboten wird wie durch eine Schleuse in ein neues, schillerndes Zeitalter gelenkt. TruYou, das erste Erfolgsprodukt, das die Identität der Benutzer digital festzurrt, ist der Vorreiter: ein Klarname, ein Passwort, ein Bezahlmodell für alle Aktivitäten im Netz.

Man muss dafür nur ein paar Global Player im Onlinegeschäft im Kopf zusammendenken: Facebook, Google, Twitter - der Circle umschließt sie alle mit einer Geste philanthropischen Großmuts. Denn nicht nur das Netz, die ganze Menschheit soll sich mittels des Zaubermittels Transparenz zum Besseren wenden. Wenn sich der Kreis einmal schließt, gibt es keine Geheimnisse mehr: "Sharing is caring."

Das Zitat stammt von der jungen Mae Holland, Frischling in dem Social-Media-Konzern, der auch Dave Eggers Roman den Namen gibt. Sie ist die Heldin, durch deren voreingenommenen Blick der für seine gesellschaftskritischen, engagierten Bücher (Zeitoun) bekannte US-Autor seine Dystopie einer auf neuartige Weise zentralisierten Welt entwirft. Anders als bei George Orwell und Aldous Huxley, in deren dem 20. Jahrhundert verpflichteten Romanen der Zwang noch staatlich verordnet war, arbeiten bei Eggers alle begeistert an der Vervollkommnung der unternehmerischen Ideale mit.

Der Schauplatz von Der Circle, ein Campus in Kalifornien, erinnert mit seiner auf den ersten Blick noch liberal-aufklärerischen Attitüde, den coolen Freizeitangeboten, Stargastauftritten und Gratismarkenartikel (zum Testen!) nicht umsonst an einen beliebigen Silicon-Valley-Standort.

Mae landet bei der Kundenbetreuung. Euphorisch antwortet sie auf Anfragen der User im Sekundentakt, rasant jagt sie damit ihr eigenes Rating in die Höhe. Die Screens auf ihrem Schreibtisch werden mit der wachsenden Wertschätzung ständig mehr - auf niemanden darf vergessen werden, denn dies könnte zu negativem Feedback führen. Eggers Bild der Beschleunigung des Arbeitslebens hat seine abgründig-komischen Seiten. Denn wo alles einsehbar ist, können sich selbst unbedeutende Informationen schnell als Bumerang erweisen.

Der Clou von Eggers Ausmalung des Circle liegt darin, dass dessen negative Implikationen niemanden mehr auffallen. Der totalitäre Anspruch, jede menschliche Äußerung - für alle sichtbar - in eine Cloud einzuspeisen und in einem weiteren Schritt selbst demokratische Pflichten über Mausklick zu regeln, wird als Verbesserung eines bisher schwächelnden Systems verkauft. Kindesmissbrauch, Wahlmüdigkeit oder Steuerbetrug - all das soll in einer transparenten Welt der Vergangenheit angehören.

Es erstaunt nicht, dass Eggers mit seinem Roman in den USA einen Nerv getroffen hat, denn dem Techno-Utopismus des kalifornischen Silicon Valley weht mittlerweile ein schärferer Wind entgegen. Zu den prominentesten Kritikern gehört Evgeny Morozov, der in seinem Bestseller-Sachbuch Smarte neue Welt polemisch den Solutionismus der Interneteuphoriker kritisiert, die immer nur von der Lösbarkeit technischer Probleme sprechen, die gesellschaftlichen Folgen jedoch vernachlässigen. Sogar Thomas Pynchon beschäftigt sich in seinem neuen, im Herbst auf Deutsch erscheinenden Roman Bleeding Edge mit den dunklen Machenschaften im Internet.

Eggers' Roman hat interessanterweise gerade dort seine Schwächen, wo es um die Ausformulierung von Kritik geht. Sie wird hauptsächlich an zwei männlichen Figuren festgemacht, zu denen Mae ein engeres Verhältnis hegt. Mercer ist ihr Freund aus Jugendtagen, ein vehementer Gegner des Konzepts von Transparenz, dem sie vor allem deshalb kein Gehör schenkt, weil sie ihn als ewigen Verlierer abgestempelt hat. Die ambivalentere Figur ist Kalden, eine schattenhafte Figur aus dem Campus - der Einzige, der Mae in Unruhe zu versetzen vermag, nicht zuletzt deshalb, weil sie ihn auch sexuell begehrt. Kaldens Identität bleibt lange mysteriös. In der Cloud scheint er nicht auf. Ist er ein Spion oder doch nur ein besonders anarchischer Mitarbeiter?

In den Auseinandersetzungen Maes mit den beiden Männern wird Eggers konkret. Ihnen legt er gewissermaßen die Zivilisationskritik happengerecht in den Mund. Das hat eine allzu instruktive, ja pädagogische Note - effektiver wäre es gewesen, diese Gedankenarbeit den Lesern zu überlassen. Dass es auf dem Gelände des Unternehmens, das sich weltweit nur die besten Eleven sucht, auch einen kritischen Diskurs geben müsste - dies lässt Eggers einfach aus. Die unhinterfragte Begeisterung für jede Innovation mag man allerdings nicht ganz glauben.

Möglicherweise wollte Eggers diese Seite aber deshalb nicht weiter ausführen, weil es dann eines stärkeren Gegners bedurft hätte. Mit Mae entschied sich der Autor wohl ganz bewusst für eine naive Heldin, die von ein paar Entwicklungen beim Circle zwar Bauchweh bekommt - ihre angedeutete Depression bleibt psychologisch zu flach -, letztlich aber keine subversiven Energien entwickelt. Viele Aspekte aus Der Circle wirken so am Ende beunruhigend gut getroffen, aber die Gesamtkonstruktion des Romans bleibt selbst zu transparent. (Dominik Kamalzadeh, Album, DER STANDARD, 6./7.9.2014)