Infrarotaufnahme des zentralen Bereichs von W49. Der massereiche Stern "W49nr1" ist mit einem weißen Pfeil gekennzeichnet.

Foto: Bik/Henning/Pasquali/Brandner/Stolte

Heidelberg - Es ist eine spektakuläre Entdeckung: Astronomen um Shiwei Wu vom Max-Planck-Institut für Astronomie haben den massereichsten Stern in W49, dem größten Sternentstehungsgebiet unserer Milchstraße identifiziert. Der Stern, der als "W49nr1" bezeichnet wird, besitze zwischen 100 und 180 Sonnenmassen, so die Forscher im Fachblatt "Astronomy & Astrophysics"; nur einige Dutzend solcher Sterne sind bislang überhaupt bekannt.

Von der Erde aus gesehen ist W49 hinter dichten Staubwolken verborgen. Nur mit Infrarotbeobachtungen gelang es, den Stern zu identifizieren. Die Entdeckung derart massereicher Sterne ist für die Forschung von höchstem Interesse: Im Vergleich mit der Sonne sind sie sehr kurzlebig (einige Millionen Jahre im Vergleich mit den 10 Milliarden Jahren der Sonne) und unter anderem deshalb sehr selten. Unter den Milliarden von Sternen, die Astronomen bisher erfasst und untersucht haben, fallen nur wenige Dutzend in diesen Massebereich – und die meisten davon kennt man erst seit einigen Jahren.

Simulierte Sternentstehung

Massereichen Sterne haben einen enormen Einfluss auf ihre Umgebung: Sie sind extrem hell und senden große Mengen sowohl hochenergetischer UV-Strahlung als auch von Teilchenstrahlung aus . Damit "puste" ein solcher Stern eine große Blase in das ihn umgebene Gas; sternnahes Gas wird dabei sofort in seine Bestandteile zerlegt (ionisiert), weiter entferntes Gas schiebt der Stern von sich weg. Das verdrängte Gas könnte dazu führen, dass noch fernere Gaswolken kollabieren und neue Sterne bilden.

Bis vor einigen Jahren war nicht einmal klar, wie Sterne mit derart großer Masse entstehen können. Erst kürzlich ist es Astrophysikern gelungen, die Entstehung solcher Sterne zu simulieren. Derzeit gibt es konkurrierende Modelle für die Entstehung. In einem davon entstehen Sterne dieser Klasse, wenn in einem ausgedehnten Sternhaufen zwei Sterne miteinander verschmelzen. Bislang gab es allerdings nur drei Sternhaufen (NGC 3603 und Arches-Sternhaufen in der Milchstraße sowie R136 in der Großen Magellan'schen Wolke), in denen derart massereiche Sterne überhaupt nachgewiesen werden konnten.

Beobachtungen im Infrarotbereich

Nun entdeckten die Forscher um Shiwei Wu einen solchen massereichen Stern – und das nicht irgendwo, sondern in der größten bekannten Sternentstehungsregion unserer Milchstraße, der Region W49. Die Entdeckung war alles andere als einfach: W49 ist rund 36.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Ganze zwei Spiralarme unserer Heimatgalaxie mit all ihrem Staub liegen zwischen uns und diesem Sternhaufen.

"Weil W49 hinter großen Mengen interstellaren Staubs verborgen ist, erreicht uns nur ein Billionstel des sichtbaren Lichts, das seine Sterne in Richtung Erde schicken", erklärt Shiwei Wu. "Daher haben wir unsere Beobachtungen im Infrarotbereich durchgefürt – Infrarotlicht kann den Staub weitgehend unbehindert durchqueren."

Mithilfe eines Infrarot-Spektrums, das sie mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) aufgenommen hatten, konnten die Astronomen den Typ des Sterns bestimmen. Zusammen mit der gemessenen Sternhelligkeit erlaubt es diese Information, die Temperatur ebenso abzuschätzen wie die Gesamtmenge an Licht, die der Stern aussendet. Im Vergleich mit Sternmodellen ergab sich daraus, dass der Stern eine Masse zwischen 100 und 180 Mal der Masse der Sonne besitzen müsste.

Schlüsselobjekt in W49

Aufgrund seiner enormen Größe ist W49 eine der wichtigsten Regionen in unserer Galaxie, in der sich die Entstehung und Entwicklung sehr massereicher Sterne untersuchen lässt – und mit "W49nr1" haben die Astronomen nun das Schlüsselobjekt des Haufens identifiziert. Aus den vorliegenden und aus zukünftigen Beobachtungen erhoffen sie sich Antworten auf eine der schwerwiegendsten offenen Fragen der Astronomie: jener nach der Geburt der massereichsten Sterne. (red, derStandard.at, 31.8.2014)