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Graffiti an einer Hausmauer in Sewastopol auf der Halbinsel Krim.

Foto: REUTERS/Stringer

Russlands Präsident Wladimir Putin hat den Konflikt um die Ostukraine verbal kräftig angeheizt. In einem Fernsehinterview forderte er am Sonntag, unverzüglich Verhandlungen über "Fragen der politischen Gesellschaftsordnung und Staatlichkeit in der Ostukraine" aufzunehmen.

Diese Aussage kann als möglicher Testballon für eine Eigenstaatlichkeit der Bürgerkriegsregion gewertet werden. Nach der Angliederung der Krim hatte sich Putin gegen eine weitere Teilung der Ukraine ausgesprochen. Noch am Freitag, bei einem Treffen der Kremljugend (siehe Bild rechts), sprach er von "Föderalisierung" - also von weitgehender Autonomie im Bestand der Ukraine.

Erstmals räumte Putin in dem Interview indirekt auch die bisher vom Kreml stets bestrittene Beteiligung Moskaus an den Kampfhandlungen ein: "Man musste im Blick haben, dass Russland nicht teilnahmslos bleiben konnte, wenn Menschen beinahe aus nächster Nähe erschossen werden", machte er aus dem Eingeständnis einen Angriff gegenüber dem Westen, den er als Urheber des Konflikts geißelte.

Die Rebellen in der Ostukraine würden nur ihre Rechte verteidigen - "eine absolut natürliche Reaktion der Menschen", betonte Putin. "Sie haben nicht als Erste Waffen in die Hand genommen", fügte er mit Blick auf den Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch hinzu. Dass sie in ihrem Kampf gegen Kiew von Russen unterstützt würden, sei nur natürlich, da sie dort Freunde und Verwandte hätten, führte der Kremlchef aus.

Putin behauptete zudem, es gebe mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko bereits eine Einigung über eine friedliche Lösung des Konflikts.

Kremlsprecher rückt zurecht

Das Interview wirbelte so gewaltig viel Staub auf, dass kurz darauf Putins Sprecher Dmitri Peskow persönlich die Darstellung seines Chefs zurechtrücken musste. Es habe weder eine Einigung zwischen Putin und Poroschenko gegeben, noch sei es Putin mit dem Begriff "Staatlichkeit" um eine Abspaltung der Ostukraine gegangen, sagte Peskow.

Russland könne keine Absprachen treffen, weil es nicht Konfliktpartei sei, erläuterte er. Verhandeln müssten Vertreter der Ukraine und "Neurusslands" über den künftigen Status der Region. Peskow betonte dabei, dass die Bürgerkriegsregion im Bestand der Ukraine bleiben solle, aber die Rechte der Bürger in jedem Fall gewahrt werden müssten.

Verhandlungen zwischen Vertretern Kiews und der Rebellen sind am Montag in Minsk geplant. Von ukrainischer Seite wird voraussichtlich Ex-Präsident Leonid Kutschma die Gespräche führen, die "Donezker Volksrepublik" will ihren "Vizepremier" Andrej Purgin entsenden. Eine schnelle Einigung auf einen Waffenstillstand oder gar über einen endgültigen Frieden wird aber nicht erwartet.

Poroschenko hatte Moskau am Samstag als Gast beim EU-Gipfel in Brüssel vor einem "umfassenden Krieg" gewarnt. Man sei ganz nahe einem "point of no return". Der ukrainische Präsident hoffte aber dennoch, dass es bei den Friedensverhandlungen mit den Separatisten zu einem Ergebnis kommen werde. Die Staats- und Regierungschefs der Union haben das russische Eindringen in die Ostukraine "mit Soldaten und mit Waffen" scharf verurteilt. Bundeskanzler Werner Faymann sagte, dies sei eine gesicherte Erkenntnis.

Einige Regierungschefs sprachen gar von einer "Invasion" - ein Ausdruck, den die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf Nachfrage vermied. Großbritanniens Premierminister David Cameron warf Putin "inakzeptable Aggression" vor.

Keine weiteren Sanktionen

Dennoch sahen die EU-Spitzen von einer Ausweitung der Sanktionen gegen Russland vorerst ab. Sie beauftragten die Kommission, binnen einer Woche einen Bericht vorzulegen, wie die bereits getroffenen Embargomaßnahmen ausgeweitet werden könnten. Rund um den Nato-Gipfel am Donnerstag will man entscheiden - je nachdem, wie sich die Lage in der Ostukraine entwickelt. Die USA begrüßten weitere Maßnahmen.

In den Debatten zeigte sich jedoch, dass die EU-Staaten zunehmend uneinig sind, was den Sinn von Sanktionen betrifft. Tschechien und Ungarn äußern Zweifel, drohten sogar mit einem Veto. Faymann sagte, er halte wenig von Sanktionen, setze auf eine Verhandlungslösung. Merkel betonte, dass Deutschland keine Waffen an die Ukraine liefern wird: Es gehe jetzt darum, Geduld zu haben, bis die Sanktionen Wirkung zeigten. (André Ballin, Thomas Mayer, DER STANDARD, 31.8.2014)