Orhan Ibrahimi, ein Mann mit dem grauen Hemd, stürzt hinter dem Rednerpult hervor und schlägt mit den Fäusten auf Rexhail Ismaili ein, einen anderen Abgeordneten mit silbernen Haaren, der in der ersten Reihe sitzt. Innerhalb weniger Sekunden raufen sechs Parlamentarier im Budgetausschuss miteinander. Nach weniger als einer Minute ist aber alles wieder vorbei. Die Männer zupfen sich ihre Uhren zurecht, dann verlassen sie den Saal, als wäre nichts geschehen.

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Es ist nicht der erste Zwischenfall im mazedonischen Parlament, der mit Gewalt endet. Berühmt wurde Ende 2012 die Szene, als weibliche Abgeordnete der Sozialdemokraten aus dem Saal getragen wurden und danach über das Budget abgestimmt wurde.

bySocialNews

Vergangenen Dienstag gingen die Vertreter der beiden Albanerparteien DPA und DUI aufeinander los. Die DPA, die in der Opposition sitzt, wirft der DUI, die mit den Konservativen unter Premier Nikola Gruevski koaliert, vor, dass diese die Interessen der Albaner zu wenig vertreten würde. Die DPA will nun nach dem Vorfall so wie die oppositionellen Sozialdemokraten, die die Wahl im Frühjahr erneut verloren haben, die Parlamentsarbeit völlig boykottieren. Damit hat Mazedonien eigentlich kein funktionierendes Parlament mehr. Der Boykott ist allerdings nichts Neues. In den vergangenen Jahren haben die Sozialdemokraten immer wieder das Abgeordnetenhaus gemieden.

Probleme "werden nur wachsen"

Nun soll allerdings die Verfassung geändert werden, und das, ohne dass die Opposition überhaupt im Parlament präsent ist. "Die Probleme werden also nur wachsen", sagt der politische Analyst Sašo Ordanovski. "Und Mazedonien wird weiter stagnieren und sich rückwärts entwickeln."

Die politische Konfrontation in Mazedonien, das seit vielen Jahren wegen des Vetos von Griechenland auf seinem Weg in EU und NATO blockiert ist, verläuft sowohl innerhalb der ethnischen Gruppen als auch zwischen ihnen. Zuletzt kam es nach einem Urteil Ende Juni gegen sechs mazedonische Albaner wegen des Mordes an fünf slawischen Mazedoniern im Jahr 2012 zu Massenprotesten in Skopje. Albaner zogen durch die Straßen und skandierten "UÇK", das Kürzel der ehemaligen Kosovarischen Befreiungsarmee. Etwa ein Viertel der mazedonischen Bevölkerung sind Albaner.

Misstrauen in den Staat wächst

Ordanovski spricht von einem hohen Ausmaß an Misstrauen zwischen den ethnischen Gruppen, das regelmäßig insbesondere von der konservativen slawisch-nationalistischen Partei VMRO-DPMNE provoziert werde. Aber auch das Vertrauen in die staatlichen Institutionen geht mit Fortschreiten des Klientelismus immer weiter verloren. "Mazedonien ist das einzige 'demokratische' Land der Welt, in dem das staatliche Amt der Ankläger 99 Prozent der Fälle gewinnt", gibt Ordanovski ein Beispiel. Der Analytiker kritisiert auch, dass es gerade im Fall des Urteils in den Mordfällen zu wenige Beweise für die Schuld gegeben habe und dass sich mittlerweile religiöse Motive mit sozialpolitischer Unzufriedenheit vermischten. Bei den Protesten gegen das Urteil waren etwa Aufrufe zum Jihad zu hören.

Ordanovski kritisiert aber auch die politische Haltung der EU und der USA, die in den vergangenen Jahren vorzugsweise auf "Stabilität" fokussiert waren und die Regierung in Skopje unterstützten. "Man macht hier business as usual. Bis es zu spät ist", warnt Ordanovski. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 29.8.2014)