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Euphorie sieht anders aus: Emmanuel Macron (li.) übernimmt das Wirtschaftsressort von Arnaud Montebourg (re.).

Foto: AP / Christophe Ena

Ein paar Politikersprüche genügten, um die Regierung der weltweit fünftgrößten Volkswirtschaft zu Fall zu bringen. Dabei sagte Arnaud Montebourg eigentlich nichts anderes als Präsident François Hollande: Die "Austerität" - also die deutsch untermauerte EU-Sparpolitik - würge die Konjunktur ab und erhöhe die Massenarbeitslosigkeit, so der Wirtschaftsminister am Sonntag.

Nur der Ton war unterschiedlich: Während Hollande die Konfrontation mit Angela Merkel vermeidet, haut Montebourg auf den Tisch - und greift gleich auch noch den hohen Staatspräsidenten selbst an. Das genügte, um die Spannungen im regierenden Parti Socialiste (PS) zum Ausbruch zu bringen. Montebourg und sein Alliierter auf dem linken Parteiflügel, Bildungsminister Benoît Hamon, flogen im hohen Bogen aus der Regierung.

Die Ironie will es, dass ausgerechnet der Konsenspolitiker Hollande seine Partei spaltet. In Le Mondemeinte einer seiner Befürworter mit Vornamen Didier: "Man muss die Augen öffnen, die Welt ist nun einmal kapitalistisch." Eine andere PS-Wählerin namens Marie klagte hingegen: "Wirtschaftspolitisch unterscheidet sich die Regierung nicht mehr von ihrer Vorgängerin."

Die Finanzwelt als Gegner

Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte Hollande die "Finanzwelt" zu seinem "eigentlichen Gegner" erklärt. In einem katholischen Land, wo Geld grundsätzlich Sünde ist, zieht das immer. Einmal im Amt, musste er seine hehren Wahlversprechen nacheinander beerdigen. Derzeit versucht Hollande, die Unternehmensabgaben und zugleich die Staatsausgaben um 50 Milliarden Euro zu senken - ein liberaleres Vorhaben, als es Nicolas Sarkozy oder Jacques Chirac jemals durchgezogen hatten. Am Dienstag bestimmte er, der selbsterklärte Gegner der "Finanzwelt", den Ex-Rothschild-Banker Emmanuel Macron zum Wirtschaftsminister.

Dass Frankreichs Stunde der Wahrheit in eine sozialistische Amtszeit fällt, ist Zufall. Umso größer ist jedoch die Ernüchterung unter vielen "camarades" - jenen Genossen, die ihre Grande Nation als letztes Bollwerk gegen das Große Kapital sahen.

Reise ins Land der Desillusionierung betitelte die grüne, den Linkssozialisten nahestehende Politikerin Cécile Duflot ihr neuestes Buch - eine harte Abrechnung mit Hollande. Die schon im April freiwillig aus der Regierung ausgeschiedene Ex-Wohnbauministerin wirft Hollande vor, er werde "die Linke zum Verschwinden bringen" - was gleichbedeutend sei mit dem Verschwinden Frankreichs.

Zwei Seelen kämpfen weiterhin in ihrer Brust: Die eine, die reformerisch-sozialdemokratische von Hollande und Valls, steht zur Marktwirtschaft und akzeptiert liberale Budgetdisziplin und Angebotspolitik; die andere hingegen will den globalen Kapitalismus weiterhin überwinden. Bevor Montebourg Wirtschaftsminister wurde, schrieb er ein Buch mit dem bezeichnenden Titel Wählt die Entglobalisierung.

Rücktritt aus Solidarität

Aus Solidarität mit Montebourg trat am Montag auch Kulturministerin Aurélie Filippetti zurück. "Unsere Wähler sind in Not", schrieb sie in einem Brandbrief an Hollande. "Sie werden in die Desillusion oder gar die Arme des Front National getrieben."

Die Hollandisten kontern, dass die Parteilinke keine Rezepte gegen die Deindustrialisierung und die Arbeitslosigkeit habe; Montebourg habe kaum etwas zustande gebracht. Doch die "frondeurs" (Aufständischen), die wohl nur etwa zehn Prozent der 291 PS-Abgeordneten stellen, bewirken fast zehnmal so viel Bürger- und Medienecho wie die Élysée-Elite. Sie wissen, sie werden verlieren. Aber zuerst leisten sie noch Widerstand. Und die Résistance haben die Franzosen im Blut wie die Revolution. Hollande ist gewarnt. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 28.8.2014)