Köln - Weltraummedizin hat viele Facetten: Vom Schlafrhythmus über die Strahlenbelastung bis zum Muskelschwund, den längerer Aufenthalt in der Schwerelosigkeit verursacht. Einem anderen Thema widmen sich Experten der Deutschen Sporthochschule Köln: Sie gehen der Frage nach, wie die Knorpel im menschlichen Knie von einem Aufenthalt im Weltraum beeinflusst werden.

Das Untersuchungsobjekt

Die Forscher Gert-Peter Brüggemann, Anna-Maria Liphardt und Anja Niehoff vom Institut für Biomechanik und Orthopädie untersuchen in ihrem Experiment "Cartilage“ den Einfluss der Schwerelosigkeit auf die Morphologie und Biologie des Knorpels im Kniegelenk der Raumfahrer an Bord der ISS. Eines der derzeitigen Besatzungsmitglieder kommt selbst aus Deutschland - der ES-Astronaut Alexander Gerst.

Mittels Kernspintomographie und Biomarkern aus Blut und Urin erforschen die Wissenschafter, ob die reduzierte mechanische Belastung in der Schwerelosigkeit zu einer Degeneration des Gelenkknorpels führen kann. Ausgangspunkt für diese Annahme ist die Tatsache, dass eine moderate Gelenkbelastung zur Nährstoffversorgung und für die Funktion des Gelenkknorpels unverzichtbar ist, da in diesem Gewebe keine Blutgefäße vorhanden sind.

Vorher-Nachher-Vergleich

Vorangegangene Bettruhe-Studien - ein bewährtes Modell, um einige physiologische Effekte von Schwerelosigkeit zu simulieren - haben gezeigt, dass die Dicke des Kniegelenkknorpels am Schienbein, aber nicht am Oberschenkelknochen, deutlich abnahm. Um den Einfluss der Schwerelosigkeit auf den Kniegelenkknorpel zu untersuchen, werden unmittelbar vor dem Flug zur ISS die Morphologie und Zusammensetzung des Gelenkknorpels der Astronauten gemessen und Parameter des Knorpelstoffwechsels im Blut und Urin untersucht.

Die gleichen Untersuchungen finden noch einmal direkt und vier bis sechs Wochen nach dem Flug statt. Das Projekt ist auf ca. fünf Jahre angelegt und hat im Frühjahr 2013 begonnen.

Potenzielle Anwendungen

Wissen über den Effekt der Schwerelosigkeit auf den Gelenkknorpel der Astronauten und die Erarbeitung entsprechender Gegenmaßnahmen ist von großer Bedeutung im Hinblick auf längerfristige Aufenthalte auf der ISS oder für etwaige künftige Missionen zum Mond, einem Asteroiden oder gar dem Mars.

Die Ergebnisse haben jedoch auch ganz irdische Aspekte. So könnten neue Erkenntnisse zu Veränderungen des Knorpels Patienten mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit zugute kommen - oder der Behandlung der Volkskrankheit Arthrose in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Denn Immobilisation durch Schwerelosigkeit bietet das einzige Modell, mit dem man das Kniegelenk gesunder Probanden für einen so langen Zeitraum entlasten kann, um dadurch den Effekt von Inaktivität ohne Krankheitsaktivität zu untersuchen und besser zu verstehen. (red, derStandard.at, 27. 8. 2014)