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Die Trauerfeier für den erschossenen Teenager Michael Brown fand in der Friendly Temple Missionary Baptist Church in St. Louis statt.

Foto: EPA/Cohen

"Warum", fragt Jay Mitchell, "soll ich mein Haar nicht in Form von Rastalocken tragen?" Gleich beginnt die Trauerfeier für Michael Brown, den in Ferguson getöteten schwarzen Teenager. Um drei Häuserblöcke zieht sie sich schon, die Schlange der Wartenden an der Friendly Temple Missionary Baptist Church, einer Megakirche mit 2.500 Sitzen, schmuckloser Backsteinfassade und großen Fenstern, die eher an einen Büroklotz denken lassen als an ein Gotteshaus.

Mitchell, ein junger Geistlicher, hofft, dass der Tag eine Wegscheide markiert, weg von den Krawallnächten hin zur Besinnung, zum Dialog. Dann aber redet er über seine Rastalocken, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. Er redet über die Polizisten, die ihn wegen Frisur und Hautfarbe reflexartig in eine Schublade sortieren, in die Schublade des Verdächtigen. In University City, einer Satellitenstadt im Ballungsraum der Mississippi-Metropole St. Louis, wurde Mitchell einmal von einer Streife gestoppt. "Ist das Ihr Auto? Haben Sie Fahrzeugpapiere?" In der Nähe habe es eine Serie von Diebstählen gegeben, lautete die Begründung, als er fragte, wieso man ihn anhalte, obwohl er nichts falsch gemacht habe. Mitchell wurde verwarnt und aufgefordert, in Zukunft am besten einen großen Bogen um University City zu machen. Und das nur wegen der Dreadlocks, glaubt er. "Es kann ja nicht sein, dass ich mir meine Haare abschneiden muss, damit sie mich in Frieden lassen."

Mütze auf dem Sarg

Drinnen ist der Eichenholzsarg mit der Leiche Michael Browns von roten Rosen bedeckt. Neben den Blumen eine schwarze Mütze mit rotem Schirm, eine Kappe der St. Louis Cardinals, einer Baseballmannschaft, deren Fan der Teenager war. Seine Mutter, Lesley McSpadden, sitzt in der ersten Reihe, ihr Oberkörper wippt auf und ab, offensichtlich ist es ihre Art, den Schmerz zu verarbeiten. Michael Brown Senior, der Vater des 18-Jährigen, getrennt von seiner Exfrau, hatte einfach um einen Tag der Besinnung gebeten. "Alles, was ich heute will, ist Frieden, während mein Sohn zur Ruhe gebettet wird. Bitte, bitte schweigt für einen Tag, damit wir unseren Sohn in Würde beisetzen können." Gekommen sind auch die Eltern von Trayvon Martin, einem 17 Jahre alten Afroamerikaner, der 2012 in Florida unbewaffnet von einem Nachbarschaftswächter erschossen wurde. Gospelchöre, Saxofonklänge, rhythmische Tanzeinlagen: Es ist ein Gottesdienst, wie ihn jede afroamerikanische Kirche jeden Sonntag zelebriert, bei aller Gram auch ein Fest des Lebens.

Eric Davis, ein Cousin des erschossenen Jungen, fordert die Generation Browns auf, wählen zu gehen und so für den Wandel zu kämpfen: "Wir haben genug von diesem sinnlosen Töten."

"Michaels Blut schreit nach Vergeltung, es schreit nach Gerechtigkeit", ruft der Pfarrer Charles Ewing, ein Onkel Browns, in seiner Eloge. Der Anwalt Benjamin Crump, der die Hinterbliebenen vertritt, erinnert in bitteren Worten an die Gründungszeit der Vereinigten Staaten, als es darum ging, wie Sklaven beim Zensus zu zählen seien. Nord- und Südstaaten einigten sich auf einen Kompromiss: nicht vollwertig, sondern nur zu drei Fünfteln. "Wir sind keine Drei-Fünftel-Bürger mehr!", sagt Crump. "Wir sind amerikanische Bürger!"

Überladen mit Symbolik

Der hochemotionale Gottesdienst, er ist viel mehr als ein Gottesdienst, nämlich ein Ereignis, das beladen, vielleicht überladen ist mit Symbolik und Erwartungen. Manche Kommentatoren sprechen von einem Signal der Versöhnung. Andere halten das für Wunschdenken: Sollte Darren Wilson, der Polizist, der sechsmal auf Brown feuerte, nicht vor Gericht gestellt oder aber freigesprochen werden, orakeln sie, explodiert der Kessel Ferguson ein zweites Mal, nur noch heftiger. Robert McCulloch, der zuständige Staatsanwalt, der den Fall gerade in allen Details einer Grand Jury vorträgt, stammt selbst aus einer Polizistenfamilie. Der Vater, der Bruder, ein Onkel: allesamt Ordnungshüter. Allein deshalb halten ihn schwarze Kongressabgeordnete für befangen und verlangen, ihn zu ersetzen, bevor die Geschworenen entscheiden, ob es überhaupt zu einem Prozess kommt.

Debatten auf dem Bürgersteig

Der breite Bürgersteig vor der Friendly-Temple-Kirche, er lässt irgendwie an die Debattenecke im Londoner Hyde Park denken. Keiner, der nicht sehr deutlich seine Meinung sagt. Während Jay Mitchell erwartet, dass Bundesstaaten wie Missouri endlich ernsthaft über das einschüchternde Auftreten der Polizei nachdenken, spricht Paul Sterling von Barack Obama. Der Präsident ist nicht selbst nach St. Louis geflogen, er hat drei Regierungsmitglieder geschickt, deren Namen den meisten Amerikanern nichts sagen.

Das protokollarische Understatement des Weißen Hauses ist sicher nicht das, was Sterling erwartet hatte, ein afroamerikanischer Pfarrer, angereist aus dem kalifornischen Riverside. So enttäuscht er sein mag, seinen Präsidenten nimmt er in Schutz. "Wissen Sie, Obama ist wie benommen nach all den Schlägen. Er ist doch nur noch in der Defensive." (Frank Herrmann aus Ferguson, derStandard.at 25.8.2014)