Beschützerformation: Zoe Saldana, Chris Pratt und Dave Bautista (v. li.) mit tatkräftiger Unterstützung von Waschbär und Baummann.

Foto: Disney/Marvel

Wien - Ein sehr verlorener kleiner Bub wartet im Gang vor einem Krankenzimmer. Drinnen hat sich eine Großfamilie um ein Bett versammelt, um Abschied zu nehmen: Peters Mutter liegt im Sterben, sie haucht ihr Leben aus. Zur sphärischen Liebeskummerverweigerungshymne "I'm Not in Love" der Rockband 10CC flüchtet sich der traumatiserte Bub ins Freie - und hat dort eine folgenreiche Begegnung der dritten Art.

Der Auftakt des jüngsten Leinwandspektakels nach einem Marvel-Comic erinnert zunächst an Sciencefiction à la Steven Spielberg oder J. J. Abrams: Er ist popkulturgesättigt, mit merklicher Freude an verschwundener, aber prägender Technologie: ein Walkman-Modell von anno 1988, ein handbeschriftetes Mixtape mit dazugehörigen Superhits (" awesome mix, Vol. 1"). Und er bringt eine melodramatische Erzählkonstellation in Stellung.

Aber die Geschichte geht - nach einem beschwingt getanzten Übergang - ganz anders weiter: "26 Jahre später" ist aus dem kleinen Peter Quill ein Schwerenöter und Glücksritter mit Kampfnamen Star-Lord geworden, der vom amerikanischen Hünen Chris Pratt verkörpert wird. Nachdem Quill im Alleingang eine metallene Kapsel entwendet hat, treten bald eine Reihe von Kontrahenten und Verbündeten auf den Plan, und "Guardians of the Galaxy" wandelt sich rasch zur gerechneten Weltraumoper - das ist gewissermaßen die Kostümfilmabteilung der Sciencefiction.

Vorlauter Waschbär

Im Zentrum der Geschichte steht der Kampf um Quills mysteriöse Diebesbeute. Weder an Wortwitz und perfekt getimeten, verbalen Schlagabtauschen wird dabei gespart, noch an sympathisch schrulligen Nebenfiguren wie dem vorlauten Waschbären Rocket (nicht nur optisch ein Verwandter des "Fantastic Mr. Fox") oder dem erstaunlich ausdrucksstarken Baumwurzelmann Groot. Zoe Saldana wirkt als Gamora, diesmal mit guter alter Schminke grün eingefärbt, stellenweise fast wie einer "Avatar"-Parodie entstiegen.

Das muss kein Zufall sein. Drehbuch-Koautor und Regisseur von "Guardians" ist James Gunn. Dieser hat früher für das unabhängige Studio Troma Entertainment Neo-B-Movies geschrieben ("Tromeo & Juliet", 1996), 2004 am Drehbuch zu "Dawn of the Dead" mitgewirkt oder 2006 seinen eigenen Horrorfilm "Slither" inszeniert - und er ist sicher kein austauschbares Ausführungsorgan für Produzentenanweisungen.

Aber das Projekt "Guardians of the Galaxy" hat trotzdem die industrieüblichen Dimensionen eines Hightech-Fertigungsbetriebes, der an unterschiedlichen Standorten hunderte Arbeitskräfte beschäftigt: Die wenigsten von ihnen sind Schauspieler - eine zentrale Rolle spielen längst Menschen wie der französische Visual Effects Supervisor Stephane Ceretti, der im Interview mit der Plattform Animation World Network schätzt, dass diese Effekte 90 Prozent des Films ausmachen.

Die Abteilung, die die Stadt Xandar designt und im Computer erbaut hat, die Kolleginnen und Kollegen, die an ihren Rechnern für die Umsetzung der rasanten Kampfhandlungen im intergalaktischen Luftraum zuständig waren oder für die Animation von Charakteren, haben allesamt gute Arbeit geleistet. Aber selbst die Imax-3-D-Version erweckt immer wieder den Eindruck von Überladenheit und Schwerfälligkeit. Ein wenig mehr vom Charme der B-Movie-Improvisationskunst hätte nicht geschadet.

Fortsetzung folgt

Die Entscheidung, mit den "Guardians" ein weiteres und weit weniger etabliertes Superhelden-Franchise an den Filmstart zu bringen, hat sich nichtsdestotrotz schon bezahlt gemacht: Bei einem Produktionsbudget von rund 170 Millionen US-Dollar vermeldeten Branchendienste schon zum US-Startwochenende Anfang August Einnahmen von rund 93 Millionen und damit einen Rekord für diesen Sommertermin.

Nicht zuletzt erreichte der Film laut Box Office Mojo ungewöhnlich viele weibliche Zuseher. Aktuell werden die weltweiten Einnahmen mit rund 490 Millionen US-Dollar beziffert. Damit sind die "Guardians" nach dem "Captain America"-Sequel "The Winter Soldier" heuer schon der zweite Smash-Hit für Marvel. Fortsetzung folgt. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 26.8.2014)