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Der Ölpreis kennt derzeit nur eine Richtung: nach unten.

Foto: ap/Nabil al-Jurani

Die Krisen im Irak, dem Gaza-Streifen oder der Ukraine halten die Welt in Atem. Doch der Ölpreis, meist ein Seismograph in Krisen-Zeiten, reagiert nicht. Spätestens seit Mitte Juni zeigt die Öl-Kurve nämlich nur noch nach unten. So ist der Brent-Ölpreis um rund elf Prozent abgerutscht, Anfang der Woche erreichte er mit 101,07 Dollar das Niveau vom Juni vorigen Jahres. Spekulationen auf Versorgungsengpässe sind seit Wochen nicht zu entdecken, denn es gibt reichlich Öl. Die Internationale Energiebehörde spricht sogar von einer Ölschwemme. Dem steht zudem eine geringe Nachfrage gegenüber.

Dass die Ölpreise trotz der eskalierenden Krisen in der Ukraine mit Russland und im Nahen Osten fallen, hat seine Gründe: Der Krieg im Gaza-Streifen hat kaum Auswirkungen auf die globale Versorgung - in Israel wird kein Öl gefördert. Syrien ist in dieser Hinsicht für den Weltmarkt ebenso vernachlässigbar. Russland ist zwar dick im Geschäft und gehört weltweit bei der Ölförderung zu einem der wichtigsten Länder – dass es zu einem Export-Einbruch oder gar zu einem Export-Stopp kommt, ist aber äußerst unwahrscheinlich. Russische Sanktionen gegen die EU und USA sind in diesem Sektor nicht vorgesehen.

Öl aus Kanada

Hinzu kommt, dass Kanada Öl als neue Geldquelle entdeckt hat: Laut Investec Asset Management verfügt das Land nach Saudi-Arabien und Venezuela über die drittgrößten bekannten Ölvorkommen. Große Teile dieser Vorräte könnten erst jetzt durch neue Fördertechniken rentabel erschlossen werden. "Anders als viele andere unerschlossene Vorkommen liegen die kanadischen Felder in einem westlichen Staat, der politische, steuerliche und soziale Stabilität garantiert", sagt Fondsmanager Charles Whall. Derzeit produziert Kanada rund 3,5 Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Bis 2025 kann sich diese Menge laut Experten jedoch verdoppeln.

Kein Wunder also, dass die Internationale Energiebehörde (IEA) trotz aller Krisen in ihrem August-Bericht keine akuten Versorgungsengpässe ausfindig machen kann. Zumal die Nachfrage angesichts der schleppenden Konjunktur weltweit schwach ist und laut IEA auch so bleibt: Für 2015 senkten die Experten ihre Nachfrage-Prognose um 90.000 Barrel täglich, ohne größere Produktionsausfälle gehen gehen sie von einem weltweiten Ölangebot von 92,9 Millionen Barrel am Tag aus.

Russlands Wirtschaft leidet

Während sich im Westen allerdings Verbraucher und Industrie über niedrige Energiekosten freuen können, ächzt Russlands Wirtschaft unter dem Ausbleiben der Petrodollars. Rund 40 Prozent der Einnahmen des russischen Staates stammen aus dem Export von Rohöl. Im Budget für 2014 rechnet die Regierung mit einem durchschnittlichen Preis von 104 Dollar je Fass. Ein Rückgang um zehn Dollar kostet Moskau nach Angaben von Sergej Aleksaschenk, ehemals Zentralbankgouverneur, 700 Milliarden Rubel, umgerechnet 20 Milliarden Dollar, oder fünf Prozent der jährlichen Budgeteinnahmen. Kein Wunder also, dass der Kreml die Ölpreisentwicklung genau verfolgt. Ein Preis unter 100 Dollar dürfte die Alarmglocken schrillen lassen, erklären Experten. "Sollte der Preis gar auf 75 Dollar fallen und dort für ein paar Jahre verharren, werden wir in Russland einen Machtwechsel sehen", sagt ein russischer Ökonom, der nicht namentlich zitiert werden möchte.

Von solchen Preisen ist der Ölmarkt aber noch weit entfernt. Selbst wenn der Ölpreis auf 90 Dollar falle, liege der Durchschnitt immer noch bei 105 Dollar, rechnet Wladimir Kolytschew vor, Chefökonom bei VTB Capital in Moskau.

Opec hofft auf kalten Winter

Moskau steht mit seinem Interesse an einem höheren Ölpreis nicht alleine: Auch die Mitglieder des Opec-Kartells sind auf die Einnahmen aus dem Ölgeschäft angewiesen. Im vergangenen Jahr reichten die Einnahmen gerade, um die Ausgaben zu decken. Der durchschnittliche Ölpreis lag bei 106 Dollar je Barrel, wie eine Gruppe von Experten in London errechnet hat. Aber die Opec gibt sich derzeit gelassen. "Kein Grund zur Sorge", sagte ein Delegierter dieser Tage bei einer Opec-Konferenz. "Das ist nur eine Korrektur, und der Preis ist für die Produzenten derzeit noch fair." Wie in Russland wollen aber auch die arabischen Ölmanager den Preis über 100 Dollar halten.

Dabei setzen die arabischen Produzenten auf einen kalten Winter in der westlichen Hemisphäre. "Dass der Preis derzeit fällt, liegt auch an der Jahreszeit", erklärt einer. "Im Herbst wird die Nachfrage anziehen." Längerfristig werde daher ein Fass Öl nicht weniger als 100 Dollar kosten. Notfalls dürfte das Kartell nachhelfen: Schließlich könnten Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate sich rasch auf eine geringere Fördermenge einigen. (Reuters, ch, derStandard.at, 22.8.2014)