Die Sonne steht tief, und Ron Brown zieht seinen weißen Stetson weit ins Gesicht. Auch an diesem Nachmittag flimmert die heiße Luft über dem Großen Salzsee in Utah, der das gleißende Licht wie ein Spiegel auf seine Betrachter zurückwirft. Bis auf ein paar an die widrigen Verhältnisse angepasste Krebs- und Krabbenarten birgt das hellblau schimmernde, 4400 Quadratkilometer große Gewässer kein Leben. "Amerikas toter Tümpel" wird der Great Salt Lake gerne genannt.

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Die Marine bei Antelope Island im Großen Salzsee in Utah


Auf der größten Insel im See, Antelope Island, herrschen ebenfalls extreme Bedingungen. Der Boden ist karg, schattenspendende Bäume sind eine echte Rarität. "Kann man sich einen schöneren Flecken Erde vorstellen", schwärmt Ron und lässt eine Handvoll Staub durch seinen weißen Lederhandschuh rinnen. "Dort hinten tobt die Hektik der Moderne", sagt er und deutet auf die Skyline von Salt Lake City. "Doch ab hier …", sein ausgestreckter Arm fährt die Küstenlinie entlang, "ist noch der Wilde Westen zu Hause." Seit 20 Jahren ist Ron Dauergast auf der Insel.

Ron Brown gönnt sich auf Antelope Island das Leben eines eigenbrötlerischen Cowboys. Sein Steckenpferd: der Schutz von Bisons.
Foto: Jens-Martin Trick


Tatsächlich beginnt nur wenige Minuten nordwestlich der "Mormonenmetropole" eine eigene Welt. Das elf Kilometer lange Asphaltband der kleinen Straße über den Salt Lake funktioniert wie eine Zeitmaschine. Sie setzt einen direkt in der amerikanischen Vergangenheit ab.

In ihrem bürgerlichen Leben waren Ron und seine Frau einst Volksschullehrer im nahen Städtchen Ogden. Mithilfe von Büchern gaben sie ihren Schülern Einblicke in die US-Geschichte, die Ron auf Antelope Island nun anschaulicher vermitteln kann: Die Fielding Garr Ranch, eine der ältesten Farmen in den USA, dient heute als Museum des ländlichen Lebens im 19. Jahrhundert. Hier verbringt der 78-Jährige jede freie Minute, um das Leben eines echten Cowboys zu führen - wie es seine Familie in Texas seit 1856 tut, erklärt der Nachfahre von Farmern.

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Vermeintlich lebensfeindliches Land zwischen Salz, Staub und Schlamm: Freiwillig verlässt kein Bison Antelope Island in Utah.
Foto: Corbis/Scott Smith


Zwölf Pferde hält Ron auf der Insel, schließlich ist ein wahrer Viehhirte stets hoch zu Ross unterwegs. Obwohl die letzten Vertreter dieses Berufsstandes heute eher Quads bevorzugen, kommt das für Ron nicht infrage. Er nutzt die Pferde, um Touristen vom Sattel aus die besondere Flora und Fauna dieses Habitats zu zeigen. Und als echter amerikanischer "Kuhbub" kümmert er sich natürlich auch um 700 Stück freilebender Rinder.

Lebendiges Wahrzeichen

Zusammen mit Parkmanager Jeremy Shaw wacht Ron über das lebende Wahrzeichen des Wilden Westens: den Amerikanischen Bison. "Obwohl der Antelope Island State Park nach der Gabelhornantilope benannt ist, hat der Bison längst die Oberhand übernommen", sagt Jeremy. Das war nicht immer so.

1893 brachten John Dooly und William Glassman zwölf Tiere auf die Insel. Mit vier Bullen, vier Kühen und vier Kälbern starteten sie eine eigene Zucht, nachdem die Bisons in den Jahrzehnten davor in den USA fast ausgerottet worden waren. Ihre Motive waren keineswegs edelmütig, Dooly und Glassman galten als kühl kalkulierende Geschäftsmänner.

Bisonjagd: unrentabel

Sie wollten auf der Insel ein Bison-Jagdparadies errichten, das sich allerdings als unrentabel erwies. Als dieser Plan fehlschlug, bekundeten Filmteams aus Hollywood Interesse: Allein für den Wildwest-Streifen The Covered Wagon, auf Deutsch: Die Karawane, wurden 1923 sieben Bisons zur Strecke gebracht. Zusätzliche Abschussscheine ließen die eben erst gewachsenen Bestände weiter schrumpfen.

"Und dennoch verdankt die Insel diesen beiden Männern ihre Bisons. Und ich ihnen meinen Traumjob", sagt Jeremy. Erst 1981 erkannten die Behörden die Bedeutung dieses Lebensraums und erhoben die Insel zum State Park. Zugunsten der Bisons mussten Schafe und Rinder weichen. Für banale Kulturtiere war fortan kein Platz mehr im Westernparadies. Heute liegen die Bestände im Park konstant zwischen 500 Bisons zu Jahresbeginn und 700 Tieren am Ende des Jahres.

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Sonnenuntergang über Antelope Island


"Unsere zwölf Ranger greifen bei Geburten oder Kämpfen nicht ein in den Kreislauf der Natur", erzählt Jeremy über die Arbeit seines Teams. Doch der Mangel an Fressfeinden auf der Insel lässt den Bestand jährlich um knapp 200 Tiere anwachsen. Im Herbst platzt das Paradies aus allen Nähten. Dann beginnt ein alljährliches Spektakel, das jedes Cowboyherz höherschlagen lässt.

Im Oktober gen Norden

Beim sogenannten Round-up im Oktober, dem unblutigen Viehtreiben, werden alle Bisonherden vom Süden der Insel in den Norden getrieben. Bis zu 300 Reiter, die Jeremy höchstpersönlich auswählt, erledigen das. "Viele kommen seit Jahren, nehmen sich dafür extra Urlaub. Mittlerweile gibt es eine lange Warteliste", sagt Jeremy. Aus allen Teilen der USA und teilweise sogar aus dem Ausland reisen die Möchtegern-Cowboys an. "Sie lieben es, die mächtigen Tiere vor sich herzutreiben und den aufgewirbelten Staub zu inhalieren."

Jeremy, der als Kind in der Schulklasse von Rons Frau saß, gerät noch heute wie ein Bub ins Schwärmen: "Man bekommt Respekt vor der Natur, wenn diese in Form eines 800-Kilo-Brockens mit gut 50 Kilometer pro Stunde auf einen zudonnert."

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Die Bisons fühlen sich auf der Insel wohl.


Nachdem die Tiere beim Round-up in stabile Gatter getrieben, gegen die gefährliche Rinderbrucellose geimpft und die Neugeborenen mit einem winzigen Mikrochip versehen wurden, geht es für die meisten wieder zurück in die Freiheit der Insel. Für bis zu 250 Tiere folgt hingegen der Rauswurf aus dem Paradies, denn freiwillig verlässt kein Bison Antelope Island. Lediglich ein Fall sei Jeremy bekannt, als ein junger Bulle einmal über die Straße Richtung Großstadt unterwegs war. Doch auch der hätte bereits nach wenigen Kilometern von allein wieder kehrtgemacht.

Beliebt unter Feinschmeckern

Die unfreiwillig nach dem Round-up exilierten Tiere werden vorwiegend an Züchter verkauft. Bisons sind wieder überall auf dem Vormarsch. Seit das amerikanische Landwirtschaftsministerium das Fleisch als besonders fett- und cholesterinarm angepriesen hat, gewinnt es unter Feinschmeckern an Beliebtheit. Über eine halbe Million Bisons lebt heute in den USA - ein derart großer Bestand, dass sie zu Nutztieren wurden.

Ron dagegen ist eher Western-Feinschmecker und delektiert sich nur an Streifen, in denen lebendige Bisons mitspielen. Als er über die Dreharbeiten zum Kavalleriewestern Geronimo: An American Legend spricht, die mittlerweile knapp zwei Jahrzehnte zurückliegen, schwärmt er nicht von Schauspielergrößen wie Gene Hackman und Robert Duvall, die er damals kennenlernen durfte. Sein ganzer Stolz gilt seinen beiden Pferden Smoke und Shorty sowie den Bisons, die für ihn die wichtigsten Nebenrollen in dem Film spielten. "So würdevolle Tiere findet man nicht überall", meint er nur, während er seinem treuen Reitgefährten den Staub aus der Mähne klopft.

Im Gegensatz zu Ron oder Jeremy dauert der Wildwest-Traum für die Round-up-Cowboys nur wenige Stunden. Wie die verstoßenen Bisons müssen auch sie die Insel nach dem Viehtrieb verlassen. Zumindest für ein Jahr gibt es dann wieder viel Platz im Paradies. (Jens-Martin Trick, Rondo, DER STANDARD, 22.08.2014)