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Klimaschäden haben die gravierendsten Folgen in den ärmsten Ländern - hier ein Lager in Kenia, wohin sich im Jahr 2011 Somalis vor Dürre und Hunger flüchteten.

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Lukas Meyer: "Die Politik bemüht sich nicht so sehr darum, Emissionen zu reduzieren, sondern setzt auf die anderen Optionen: Adaption und Forschung."

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STANDARD: Der Weltklimarat IPCC, das Intergovernmental Panel of Climate Change, veröffentlichte im Frühjahr einen neuen Sachstandsbericht. Gefährlicher Klimawandel sei, so die Kernaussage, noch vermeidbar. Und es kostete nicht die Welt, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen - wenn man rasch handelt. Erstmals behandelt wurde das Thema Gerechtigkeit. Das ist auch der Grund, warum Sie, Professor für praktische Philosophie, beteiligt waren. Wie lautet der Befund?

Meyer: Es wurden mehrere wichtige Aussagen herausgearbeitet. Ich muss aber ein wenig ausholen: Die UN-Klimarahmenkonvention, die von vielen Staaten ratifiziert wurde, verlangt, dass eine "gefährliche Störung des Klimas" zu vermeiden ist. Was "gefährlich" ist, kann aber nicht allein physikalisch geklärt werden, sondern nur unter Berücksichtigung von Werten und Normen.

STANDARD: Sie meinen: Woran misst man "gefährlich"?

Meyer: Genau. Man muss einen Schaden vermuten. Und wenn dieser vermieden werden soll, dann muss er einer sein, den wir mit Grund vermeiden sollen. Es geht um die basalen Rechte. Zum Beispiel, inwiefern Menschen gezwungen sein werden, ihren Lebensort zu wechseln, weil es zu großen Überschwemmungen kommt. Oder inwiefern Menschen unter der Grenze des gerade noch Erträglichen leben müssen. Oder inwiefern Menschen schon dadurch gefährdet sind, weil sie bei gestiegenen Temperaturen schlechter überleben können. Überleben zu können unter Bedingungen, die es erlauben, gesund zu bleiben: Das ist ein Grundrecht. Wenn es aufgrund des Klimawandels verletzt wird, dann kann man sagen, dass er gefährlich ist.

STANDARD: In Europa hatten wir doch schon Perioden, in denen die Zahl der Hitzetoten stark angestiegen ist, weil wir nicht auf so hohe Temperaturen eingestellt waren.

Meyer: Ja. Aber es ist auch in Europa eine Situation zu erwarten, die bei weitem die gegenwärtige Lage übersteigt.

STANDARD: Man muss also sofort Maßnahmen zur Reduktion von Schadstoffemissionen setzen. In der Theorie sind wohl alle Regierungen dafür. Aber in der Praxis?

Meyer: Sie sind nur unter bestimmten, sehr unterschiedlichen Voraussetzungen dafür. Insbesondere sind die Regierungen nur dafür, wenn die Aussicht besteht, dass sich tatsächlich etwas zum Positiven ändert. Und wenn die Kosten, die sie zu tragen haben, im Vergleich fair sind. Und wenn sie zumutbar sind. Entscheidend ist zudem, dass sich die meisten der Staaten, die den erheblichen Anteil an den Emissionen haben, an den Maßnahmen beteiligen. Ansonsten kann man es auch sein lassen. Beziehungsweise: Ansonsten ist es nachvollziehbar, dass man das Hauptaugenmerk nicht auf die Vermeidung von Temperatursteigerungen legt, sondern auf Adaptionen. Also darauf, dass die jeweilige eigene Bevölkerung keinen großen Schaden nimmt.

STANDARD: Und da gäbe es die nächste Ungerechtigkeit: Der industrialisierte Westen, der die meisten Emissionen verursacht, kann zum Beispiel Dämme bauen; den Entwicklungsländern hingegen fehlt dafür das Geld.

Meyer: Ja. Wir gehen bei unseren Überlegungen jedoch vom heutigen technologischen Stand aus. Was aber ist, wenn wir in der Lage sind, der Umwelt Emissionen zu entziehen, also das Problem technologisch in den Griff zu bekommen? Es ist daher nachvollziehbar, wenn sich Politik nicht so sehr darum bemüht, Emissionen zu reduzieren, sondern auf die anderen beiden Optionen, Adaption und Forschung, setzt.

STANDARD: Welche konkreten Maßnahmen schlägt IPCC vor?

Meyer: Beim IPCC sind alle Staaten mit relevanten Interessen vertreten. Aber der IPCC hat ausdrücklich nicht die Aufgabe, Handlungsempfehlungen auszusprechen. Es geht um die Ermittlung des Forschungsstands - und nicht um die politischen Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind. Aber der Forschungsstand wird nicht nur zusammengefasst, sondern auch bewertet, der Kritik ausgesetzt. Daran beteiligen sich viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Die Ergebnisse sind seriös. In der letzten Runde bemüht man sich, eine Zusammenfassung für die Politik zu erstellen. Diese Summary wird von den Staaten beschlossen, die den IPPC tragen und finanzieren. Daher treffen am Ende die Staaten eine Entscheidung darüber, was in der Kurzfassung steht.

STANDARD: Fehlt der Zusammenfassung dann nicht die Brisanz?

Meyer: Gerade bei der Kurzfassung zu dem Teil, zu dem ich beigetragen habe, gab es erhebliche Bemühungen der Politik hineinzureden. Es ist offensichtlich so, dass Überlegungen der Gerechtigkeit in den laufenden und anstehenden Verhandlungen eine große Rolle spielen. Man versuchte daher zu vermeiden, dass Formulierungen aufgenommen werden, die in den Verhandlungen die eigene Position schwächen könnten. Insofern ist das, was man findet, ein "Weißwaschen" von dem, was das Kapitel tatsächlich an Aussagen zu bieten hat. Es war für viele - ich schließe mich ein - schon frustrierend, dass sich Ergebnisse, die derart intensiv einem Review-Verfahren ausgesetzt waren, nicht in dem Bericht wiederfinden.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel geben?

Meyer: Der Umgang mit historischen Emissionen. Die OECD-Länder realisieren sehr viele Begünstigungen aufgrund von bereits verursachten Emissionen. Jetzt ist die Frage, in welchem Maß diese Begünstigungen zu berücksichtigen sind, wenn man die noch erlaubten, zukünftigen Emissionen verteilen soll. In der Summary hat man diese wichtige Diskussion ausgespart - und damit die Bedeutung des Themas unterdrückt.

STANDARD: Ein Schwellenland, das sich erst industrialisieren muss, braucht natürlich viel mehr Emissionen als ein bereits industrialisiertes Land.

Meyer: Die Entwicklungs- und Schwellenländer pochen auf ein Recht auf Entwicklung, also auf Wirtschaftswachstum und Wohlstandsmehrung. Das muss beim derzeitigen Stand der Technologie einhergehen mit erhöhten Emissionen. Menschen in Entwicklungsländern realisieren weit weniger Begünstigungen - und hätten viel mehr Anspruch darauf, Emissionen zu verursachen. Der Streit ist nun, inwiefern ihnen das zusteht - zulasten jener Länder, die diese Entwicklung schon abgeschlossen haben. Ein anderes großes Thema ist die Kompensation für Klimaschäden. Es ist klar, dass die Klimaschäden, die wir haben und zu erwarten haben, die Konsequenz der früheren Emissionen sind. Aber es ist nicht möglich, spezifische Verursacher zu identifizieren. Die heute und künftig lebenden Menschen können nichts für die Emissionen der Vergangenheit. Aber was wir anstreben sollten: Dass Menschen unabhängig davon, in welchem Land sie leben, in einem ähnlich großen Umfang von Aktivitäten, die mit Emissionen einhergehen, begünstigt sein sollen.

STANDARD: Sie bieten an der Uni Graz ab dem Herbst das vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierte Doktoratskolleg Climate Change an. Der Ansatz ist, die Physik mit der Philosophie zusammenzuspannen?

Meyer: Nun ja, beteiligt sind auch weitere Naturwissenschaften wie Geologie, Meteorologie, Hydrologie und Geografie, zudem die Sozialwissenschaften, die Systemwissenschaften und die Ökonomie. Wir glauben, dass wir bei einem derart komplexen Problem nur durch interdisziplinäres Zusammenarbeiten Fortschritte erzielen können. Wir starten mit 16 Doktorandinnen und Doktoranden - und hoffen, noch weitere aufnehmen zu können. Im Mittelpunkt der Dissertationsprojekte steht unter anderem die Frage nach technologisch und institutionell machbaren, wirtschaftlich effizienten, ethisch vertretbaren und nachhaltigen Strategien zur Reaktion auf den Klimawandel. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 20.8.2014)