"Für mich gibt es eine Vision der offenen, nicht patentierten Forschungsergebnisse - also eine Open-Source-Brainware als Pendant zur Open-Source-Software", sagt Hauptverbandsgeneral Josef Probst.

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STANDARD: Big Data und die Entwicklungen im Gesundheitssystem stehen im Zentrum der Alpbacher Gesundheitsgespräche. Sie haben gestern dazu einen Workshop geleitet. Wo sind die Risiken und Möglichkeiten?

Josef Probst: Bis zum Jahr 2020 wird sich die weltweit verfügbare digitale Datenmenge verzehnfachen. Schon heute gibt es enorme Datenbestände über die verschiedensten Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen. Laufend werden Studien zu medizinischen Fragen veröffentlicht. Konzerne sammeln Daten zum Surfverhalten der Menschen im Internet, die Rückschlüsse auf das Gesundheitsverhalten und den Gesundheitsstatus zulassen. Die Frage wird sein, wie es uns gelingen kann, bis zum Jahr 2025 diese Daten für die Erhaltung und Verbesserung der Gesundheit zu nutzen sowie zu eruieren, wo die Grenzen dieser Nutzbarmachung liegen.

STANDARD: Wo liegen dabei die Herausforderungen?

Probst: Zum einen natürlich im Datenschutz und Persönlichkeitsschutz - beide müssen gewahrt werden. Zentrale Frage ist dabei auch, wie Datenberge überhaupt entstehen, wer sie nutzt und wer daraus Gewinne zieht. Das muss transparent gemacht werden. Wir sehen, dass derzeit viele biometrische Daten individuell gesammelt werden, aber dann kollektiv verarbeitet werden. Dann gibt es Beispiele wie das Grippemonitoring von Google, wo aufgrund des Suchverhaltens im Internet Rückschlüsse gezogen werden. Derzeit werden via Social Media Unmengen an Daten gesammelt und verkauft.

STANDARD: Wie muss man sich das im Gesundheitsbereich vorstellen?

Probst: Das Volumen, die Variationsbreite und die Verarbeitungsgeschwindigkeit sind enorm. Unternehmen wie Port Reader machen bereits Milliardenumsätze mit dem Verkauf von Daten aus Social Media. Da geht es nicht nur um Gesundheit. Unternehmen kaufen die Daten für Zielgruppenwerbung, aber auch zur Vermarktung von gesundheitsrelevanten Produkten. Eine interessante Frage dabei ist, ob die Zielgruppen der Marketingaktivitäten unter Umständen ident sind mit den Risikogruppen im Gesundheitswesen - etwa wenn es um Marketing für Alkohol und Tabak geht.

STANDARD: Big Data ist auch eine Herausforderung für die Entwicklung neuer Therapien und Medikamente. Was kommt da auf Gesundheitssysteme und Patienten zu?

Probst: Die Vorträge in Alpbach haben eine neue Welt der wissenschaftlichen Forschung gezeigt, die getrieben wird von den sich exponentiell entwickelnden IT-Möglichkeiten. Schwerpunkte sind etwa die Genomforschung und das Human Brain Project. Die Visionen gehen dahin, weg von der derzeitigen Symptomwelt in der Medizin zu kausalen Analysen zu kommen, um so dann individuelle Therapiemöglichkeiten zu finden. Zentral wird sein, dass gesundheitsbezogene Messdaten, Forschungsergebnisse und die wissenschaftliche Literatur erfasst, geordnet und dann ins System gebracht werden.

STANDARD: Bleibt die Frage, ob Therapien dadurch besser und billiger werden?

Probst: Das muss das Ziel sein und das versprechen auch alle. Es muss aber die Frage gestellt werden, wer aus diesen Anstrengungen profitieren darf. Es kann nicht sein, dass die Kosten europaweit durch die Bürger aufgebracht werden und die Gewinne privatisiert werden. Der jetzt schon von manchen Konzernen beschrittene Weg, dass die Preise für eine Packung neuer Medikamente fünfstellige Beträge ausmachen, muss künftig in jedem Fall hinterfragt werden. Für mich gibt es eine Vision der offenen, nicht patentierten Forschungsergebnisse - also eine Open-Source-Brainware als Pendant zur Open-Source-Software. (Martin Rümmele, DER STANDARD, 19.8.2014)