Wien - Wissenschafter von Forschungsinstituten in Wien (IMBA und CeMM), der Universitäts-Kinderkliniken in Wien und München sowie zahlreicher weiterer europäischer Forschungsstellen haben die genetische Ursache einer angeborenen Immunschwäche bei Kindern identifiziert. Das berichten sie in der Fachzeitschrift "Nature Genetics". Vielleicht ist das Leiden mit einem bekannten Biotech-Medikament behandelbar.

Die Publikation erfolgt in der Fachzeitschrift in zwei gleichzeitig veröffentlichten Studien mit Kaan Boztug vom CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin/Wien) und Gerald Wirnsberger (Institut für Molekulare Biotechnologie/IMBA; Wien). Beide Institutionen wurden von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gegründet.

Zu der Erkenntnis, dass es sich bei der Ursache für die bei Kindern vorkommende Immunschwäche offenbar um einen Defekt im Gen JAGN1 handelt, waren zunächst Ärzte und Wissenschafter am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, dem CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien) bzw. der Wiener Universitäts-Kinderklinik sowie weiteren Forschungszentren in Europa gekommen. Sie hatten diese Mutation bei 14 Kindern mit solchen Störungen gefunden.

Defekt im Gen JAGN1

"Die Entdeckung der JAGN1-Defizienz ist ein Beispiel dafür, dass angeborene Störungen der Immunität durch Mutationen in Genen verursacht werden können, von denen bisher nicht einmal bekannt war, dass sie eine Rolle im Immunsystem spielen" erklärte Boztug, Erstautor einer der beiden Studien und Entdecker der ersten Patienten mit Mutationen im JAGN1-Gen. Ihm war es gemeinsam mit Christoph Klein (München) gelungen, betroffene Familien zu entdecken und den Gendefekt zu identifizieren. Die schwere angeborene Immunschwäche SCN (Schwere kongenitale Neutropenie, auch bekannt als Morbus Kostmann), die primär durch einen gravierenden Mangel an den neutrophilen Granulozyten (Neutropenie) beruht, ist nach diesen Erkenntnissen auf einen Fehler in der Entwicklung von neutrophilen Granulozyten durch den JAGN1-Defekt zurückzuführen.

Gerald Wirnsberger am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) züchtete in der Folge Mäuse mit diesem Gendefekt und der gleichen Immunschwäche wie beim Menschen. "Dieses Forschungsprojekt ist ein großartiges Beispiel für eine gelungene internationale Zusammenarbeit", wurde IMBA-Chef Penninger in einer Aussendung zitiert.

Mäuse mit Gendefekt helfen bei Ursachenforschung

Darauf folgten die Arbeiten an den speziell mit dem Defekt gezüchteten Mäusen. Dabei stellte sich laut den Autoren heraus, dass die neutrophilen Granzulozyten mit durch den JAGN1-Defekt mangelhaft in der Lage sind, aktiv Krankheitserreger wie Bakterien oder Pilze (z.B. Candida albicans-Pilze) zu verfolgen. Sie bilden auch weniger für die Bakterien oder Pilze giftige Stoffe bzw. schütten weniger davon aus, um diese abzutöten..

"Erst mit unserem Mausmodell war es aber möglich, die Krankheit tiefgründig und systematisch zu studieren und einen Vorschlag für eine mögliche neue Therapie zu machen", erläuterte Penninger. Es konnte gezeigt werden, dass Tiere mit einer solchen Mutation Infektionen durch Canida albicans-Pilzen hilflos ausgesetzt sind.

Potenzielle Medikamenten-Behandlung

Schließlich testeten die Wissenschafter für die Behandlung mögliche Medikamente - ebenfalls an Mäusen. Bisher gab es für die betroffenen Kinder bei einer schweren derartigen Immunschwäche nur die Möglichkeit einer Stammzelltransplantation zur Behebung des Immundefekts. An sich gibt es seit Jahren die Biotech-Blutwachstumsfaktoren G-CSF und GM-CSF zur Förderung der Bildung von Granulozyten. Diese Arzneimittel kommen vor allem zur unterstützenden Behandlung von Krebspatienten zur Behebung therapiebedingter Immunschwäche zum Einsatz.

Interessanterweise war bei den Mäusen mit dem JAGN1-Defekt ausschließlich GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor) wirksam. Die Wissenschafter: "Die Behandlung mit GM-CSF schützte Mäuse mit der Mutation vor einem beschleunigten Gewichtsverlust und schnellerem Tod nach einer künstlichen Infektion mit Candida albicans."

Bei Knochenmarkzellen von Menschen mit der Mutation korrigierte im Labor GM-CSF auch die mangelnde Abwehrwirkung der weißen Blutkörperchen gegen die Pilze. Für Patienten mit einem JAGN1-Gendefekt bedeutet dies, dass GM-CSF auch bei ihnen wirken könnte. Ob dem tatsächlich so ist, wird nun in klinischen Studien untersucht. (APA, 18.08.2014)