Ich habe nur nebenbei die Geschehnisse rund um #fappygate mitbekommen, weil ich die Tage viel unterwegs war. Im Kern ist wieder mal etwas passiert, das im Netz (und sonst wo auch) ja eigentlich dauernd passiert: Ein reichweitenstarker und gut vernetzter Mann bemerkt irgendwo eine Feministin, deren Äußerungen seiner Ansicht nach unwahr, überzogen, zu radikal oder undiplomatisch sind, und bloggt darüber, wo seiner Ansicht nach die Grenze zwischen richtigem und falschem Feminismus verläuft. Anschließend schaut er genüsslich dabei zu, wie seine Follower und Fans über die besagte Feministin herfallen, bis die dann ihren Account schließt oder auf privat setzt. Die Mehrzahl der Männer und auch eine ganze Reihe von Frauen machen Popcorn auf und verfolgen die Auseinandersetzung auf dem Sofa. Viele Frauen und einige Männer versuchen zu erklären, was da grade passiert, der Betroffenen Unterstützung zu geben, lassen sich auf Debatten ein, bloggen selber darüber.

Ich verfolge diese Debatten meist mit Schmerz. Ich leide mit denen, die da in Debatten verwickelt werden, die sie gar nicht gewinnen können. Ich beobachte, wie ungleich Genuss und Triumph und Rechthabgefühl auf der einen Seite, und Ärger, Leid und das Gefühl der Ohnmacht auf der anderen Seite verteilt sind. Und ich habe den Impuls, so was zu rufen wie: Geht nicht raus in den Regen, ihr werdet doch nass bis auf die Knochen! Oder, wenn ihr versehentlich in den Regen geraten seid: Bleibt doch nicht da stehen, lauft weg und stellt euch irgendwo unter!

Wer erwartet was?

Dann habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht nur einfach zu alt und abgebrüht und desillusioniert bin für solche Formen der Auseinandersetzung. Über Nacht hat es in mir noch mal nachgedacht, und ich glaube eigentlich, dass das nicht der Hauptgrund ist (obwohl es natürlich einen Unterschied macht, ob eine diese Dynamik schon hundertmal oder erst wenige Male erlebt hat).

Ich glaube, es geht hier um die Frage, wer was von wem erwartet. Bei manchen feministischen Aktivistinnen höre ich in solchen Debatten manchmal so etwas wie Ungläubigkeit heraus darüber, dass andere die sexistische Struktur, die sie kritisieren, tatsächlich nicht sehen. Als glaubten sie, wenn sie nur klar und eindeutig nachweisen könnten, was hier passiert, dann müsste die Welt doch verstehen, was läuft. Nicht die Honks natürlich, aber doch die große Masse drumherum.

Unverständnis und Selbstgerechtigkeit

Sie versuchen die Beweisführung also nochmal so herum und dann nochmal anders herum, und die Verzweiflung wächst, weil sie, egal wie logisch die Argumentation, eben doch nicht verstanden werden. Ganz im Gegenteil sogar: Die anderen werden immer selbstgerechter. Sie versichern sich gegenseitig, dass sie natürlich keine Sexisten sind, weit davon entfernt, sie sind in Wirklichkeit nämlich selber Feministen oder zumindest sind sie für Gleichberechtigung und über jeden Verdacht erhaben, weil sie doch sogar Frauen in ihre Teams einladen. Und auf keinen Fall werden sie sich von irgendwelchen wildgewordenen FemiTrollNazis was erklären lassen.

Sexismus ist wie Regen. Er ist einfach da, manchmal schwächer, manchmal stärker. Manchmal können wir uns irgendwo unterstellen, manchmal hört er vielleicht sogar für 'ne Weile auf. Manchmal kommt er aus heiterem Himmel und mit einer Gewalt, mit der wir nicht rechnen konnten. Aber, und das ist mein Punkt: Wenn es regnet, können wir nichts dagegen unternehmen. Jedenfalls nicht hier und jetzt, nicht in dieser Situation. Es ist schlichtweg nicht möglich. Wenn es regnet, dann regnet es.

Sexismus ist eine Tatsache, keine Meinung

Sexismus strukturiert die symbolische Ordnung, die uns umgibt, er lässt sich durch Argumentationen nicht wegkriegen. Sexismus ist eine Tatsache, keine Meinung. Feminismus bedeutet die Arbeit an dieser symbolischen Ordnung, und das funktioniert in der Tat hauptsächlich durch Sprache. Aber auf sehr vielen verschiedenen Ebenen, und es ist kompliziert. Es ist keine Frage der Logik, sondern eine der Kultur, tief verwurzelt, unsichtbar, normal. Es funktioniert nicht so, dass wir die sexistische Struktur unserer symbolischen Ordnung nur erst einmal lückenlos beweisen müssten, und dann geht sie weg. Für öffentliche Debatten über den Feminismus ist es wichtig, sich das ganz klar zu machen und sich jederzeit darüber bewusst zu sein. Und nicht, auch nicht ganz insgeheim in einem hinteren Winkel des Herzens, mit der Erwartung hineinzugehen, doch vielleicht überzeugende Argumente zu finden. Denn das führt unausweichlich zu der ohnmächtigen Erkenntnis, dass es hier halt nicht um Argumente geht, sondern um Macht.

Das ist einfach Realismus: Zu wissen, dass ich jederzeit in den Regen geraten kann. Wenn es draußen bereits in Strömen regnet, existiert die Option, rauszugehen und nicht nass zu werden, nicht. Muss ich also wirklich jetzt gehen oder warte ich lieber auf später, wenn es nachgelassen hat? Und wenn ich raus muss oder will, habe ich einen Regenschirm dabei? Wähle ich eine Route, wo ich mich schnell unterstellen kann, wenn es zu heftig wird? Ganz wichtig ist natürlich auch, dass wir einander nicht im Regen stehen lassen. Und wir können natürlich auch sagen: Scheiß drauf, dann werde ich halt nass. Wir sind nicht hilflos, wir sind nicht einfach nur Opfer, wir haben eine Vielzahl von Handlungsoptionen. Aber für das feministische Wohlbefinden ganz entscheidend ist, nicht zu erwarten, dass wir irgendetwas dafür tun können, dass der Regen aufhört. Und schon gar nicht darauf zu hoffen, dass der Regen uns zuliebe ein Einsehen hat.

(Jedenfalls nicht hier und in dieser Situation, langfristig ist natürlich eine andere Sache. Die Analogie des Regens funktioniert nur begrenzt.)

"Geh nicht raus, wenn es regnet"

Vielleicht sollte ich noch einen Satz zum Thema "Victim-Blaming" anschließen, das man mir wegen des Rats "Geh nicht raus, wenn es regnet", vielleicht vorwerfen könnte. Das Konzept ist wichtig, wird aber meiner Ansicht nach manchmal falsch oder kontraproduktiv angewendet. Es geht ja darum, den Opfern keine Mitschuld an ihrer Situation zuzuweisen, so wie: "Was muss sie in einem Minirock rausgehen, kein Wunder, wenn sie vergewaltigt wird." Victim-Blaming zu problematisieren ist deshalb ein gutes Tool in Situationen, in denen es einen Konsens über die in Frage stehenden Sachverhalte gibt und auch Gesetze oder andere effektive Mittel, um die Täter zur Strecke zu bringen. In diesen Situationen ist es natürlich wichtig, festzustellen, wer Schuld hat und wer nicht.

Aber wenn dieser Konsens nicht besteht, dann hilft es nichts, die Frage nach der Schuld zu klären. Wir können nämlich nicht eine sexistische Ordnung zu Hilfe rufen, um diese Ordnung zu bekämpfen. Denn diese Ordnung findet sich selbst ja gar nicht falsch, sondern richtig und normal. Wir wissen zwar, dass die Opfer nicht schuld sind, und es ist auch wichtig, sich das immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es nützt aber in der konkreten Situation nichts.

Natürlich stimmt es: Wenn ich raus in den Regen laufe, dann werde ich nass, weil es regnet. Der Regen ist schuld daran, dass ich nass werde, nicht ich. Aber dem Regen ist das ganz egal, sein Wesen ist es, zu regnen, und deshalb findet er überhaupt nichts dabei, mich nass zu machen. Deshalb nehme ich besser einen Schirm mit. Oder stelle mich unter. Oder laufe nur schnell durch, bis ich wieder in Sicherheit bin. Oder ich stelle mich drauf ein, nass zu werden, tanze im Regen und rufe den Wolken zu, sie können mich mal. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 14.8.2014)