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Abu Bakr al-Baghdadi alias Kalif Ibrahim (Videoaufnahme einer Predigt) ist der Anführer der Gruppe "Islamischer Staat".

Foto: AP/militant video

Bagdad/Wien - Die Frage, ob sie sich von Barack Obama distanzieren muss, um sich zu profilieren, scheint die amerikanische Ex-Außenministerin Hillary Clinton mit Ja beantwortet zu haben: Ihre (später relativierte) Schuldzuweisung an den US-Präsidenten, er habe das Monster "Islamischer Staat" geschaffen, weil er nicht die moderate syrische Opposition bewaffnet habe, ist ja nur eine der kritischen Äußerungen, die Clinton in den vergangenen Wochen und Monaten zu Obamas Nahostpolitik gemacht hat.

Glaubt man ihr, müssen der Präsident und seine Außenministerin in einem thematischen Dauerstreit gelegen sein. Dass es bei Clinton dabei auch populistisch zugeht, zeigt etwa die Behauptung, sie selbst hätte gerne nach 2011 eine substanzielle militärische Präsenz im Irak belassen. Das klingt wieder einmal so, als wäre der Abzug Obamas Entscheidung gewesen. Dieses Narrativ hat sich mittlerweile durchgesetzt; es ist trotzdem falsch: Das Abzugsdatum der US-Truppen von Ende 2011 handelte Präsident George W. Bush 2008 mit Premier Nuri al-Maliki aus, als das Uno-Mandat auslief. Auch Obama wollte 2011 Truppen im Irak lassen, Maliki war aber nicht bereit, die verlangten rechtlichen Immunitäten zu gewähren. Kein Präsident hätte unter diesen Umständen die US-Armee dort gelassen.

Produkt des syrischen Bürgerkriegs oder der US-Invasion?

Die Frage, die sich aus der Clinton-Kritik an Obamas Syrien-Politik, ergibt, lautet: Ist der "Islamische Staat" oder konkret dessen Führer Abu Bakr al-Baghdadi alias Kalif Ibrahim ein Produkt des syrischen Bürgerkriegs - oder eines der US-Invasion im Irak im Jahr 2003?

Es ist natürlich ein attraktiver Gedanke, dass sich, wäre Syriens Präsident Bashar al-Assad in einer frühen Phase des Aufstands gestürzt worden, die sunnitischen Extremisten nicht so stark entwickelt hätten und Syrien stabil geblieben wäre. Diese Annahme lässt jedoch alle Erfahrungen, die in anderen - und weit weniger komplizierten - Ländern nach dem Arabischen Frühling gemacht wurden, außer Acht.

Was das Eingreifen und die Kooperation der Nato mit der Rebellion in Libyen auslöste, wo der Aufstand - ganz anders als in Syrien - ein leicht zu unterstützendes lokales Zentrum, den Osten, hatte, sieht man. Libyen hat eine homogene Bevölkerung und die sunnitisch-islamische Identität des Landes wurde nie in Zweifel gestellt - und dennoch wurde es zum Pool für Extremisten. In Syrien wäre die konfessionelle Diversität - die Christen, aber vor allem die heterodoxe Minderheit der Alawiten - durch den Sturz Assads nicht beseitigt worden und Grund genug gewesen, Extremisten anzulocken. Dass der sunnitische Radikalismus nur vom Assad-Regime erzeugt wurde, ist eine Illusion.

Eine irakische Geschichte

Es ist richtig, dass der Krieg in Syrien der Organisation, die heute "Islamischer Staat" (IS) heißt, wieder Leben eingehaucht hat, aber es gab sie schon zuvor. Zuerst als Al-Kaida im Irak kreiert, dann zum "Islamischen Staat im Irak" umbenannt, kam später "al-Sham", Großsyrien/Levante, in den Namen. Beides wurde fallen gelassen, als Ibrahim Awad al-Badri, wie al-Baghdadi wirklich heißt, sein Kalifat ausrief.

Badri selbst ist ohne Zweifel ein Kind des Irak-Konflikts. Er soll laut einer Quelle im Pentagon, die die "New York Times" zitiert, ein kleiner Straßengauner gewesen sein, als ihn die US-Armee 2004 verhaftete. Allerdings waren die Amerikaner damals nicht die besten Analysten der Situation, immerhin ist Badris Familie hochangesehen, und er selbst soll in Islam promoviert haben. Aber zumindest stimmt, dass viele Iraker aus den Militärcamps, in denen sie festgehalten wurden, völlig radikalisiert wieder herauskamen.

Die Ausmerzungspläne, die die IS gegen andere Gruppen hegt, sind religiös bedingt, der Kampf um die Macht im Irak begann aber schon 2003, von den USA gefördert, die den Irak durch die konfessionelle Brille sahen.

Die Sunniten waren die großen Verlierer der Nachkriegszeit; sie wurden für die Saddam-Ära verantwortlich gemacht. In der Folge stellten sich auch sunnitische Stämme gegen die USA und gegen Bagdad, die zuvor gegen Saddam Hussein gekämpft hatten. Der konfessionelle Wahnsinn und die IS im Irak haben eine irakische Genesis: Deshalb wird sie nicht leicht nach Syrien zurückzudrängen sein, falls dies der Plan sein sollte. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 14.8.2014)