Samsung hat den Chip namens True North für IBM gebaut

Foto: IBM

Ein Computer, der einem menschlichen Gehirn gleicht: Seit Jahren schon arbeitet IBM daran – und ist nun nach eigenen Angaben einen großen Schritt weitergekommen.

Das Tech-Unternehmen arbeitet an einem Mikrochip, der Funktionen des menschlichen Gehirns nachahmt, um Berechnungen anzustellen. Er sei sehr gut darin, Muster zu erkennen und Objekte zu bestimmen und verbrauche deutlich weniger Energie als konventionelle Hardware, heißt es von IBM.

IBM und seine Konkurrenten versuchen schon seit längerem, solche Chips zu entwickeln, da sie im klassischen Computerchip-Geschäft kaum noch Durchbrüche erzielen können. Das neueste Modell, das in der Fachzeitschrift Science beschrieben wird, hebt sich aber von seinen Vorgängern ab. Der Chip ist größer und wird mit herkömmlicher digitaler Technologie betrieben – und nicht mit ungewöhnlichen Materialien oder Prozessen hergestellt.

Zimmergroße Supercomputer

IBM hält sich zwar bedeckt mit Informationen darüber, wie weit die Entwicklung genau vorangeschritten ist. Man spreche aber bereits mit potenziellen Partnern über Möglichkeiten, den Chip auf den Markt zu bringen, heißt es. Das Unternehmen sieht viele Anwendungsmöglichen: von zimmergroßen Supercomputern bis hin zu schwimmenden Geräten, die Tsunamis oder andere Phänomene im Meer aufspüren könnten.

„Wir haben einen riesigen kommerziellen Ehrgeiz", sagt Dharmendra Modha, Forscher am Almaden Research Center von IBM.

Samsung hat den den Chip namens True North für IBM gebaut und dabei die gleiche Technologie benutzt, die auch bei der Herstellung von Mikroprozessoren für Smartphones und andere mobile Geräte zum Einsatz kommt. Beim zugrundeliegenden Design hat IBM mit Forschern der New Yorker Cornell University an einem Projekt zusammengearbeitet, das seit 2008 mit 53 Millionen Dollar von einer Pentagon-Behörde finanziert wurde.

Sowohl Wissenschaftler als auch Ingenieure beschäftigen sich derzeit mit dem Problem, dass sich bei konventionellen Mikroprozessoren kaum noch bahnbrechende Veränderungen erzielen lassen. In der Vergangenheit haben die Hersteller die Kosten der Chips gesenkt, während die Geschwindigkeit verbessert und der Energieverbrauch gesenkt wurde.

Energie ist der Knackpunkt

Doch die Chiphersteller können sich nicht mehr auf die altbewährten Prozesse verlassen, um deutliche Verbesserungen zu erreichen. Das gilt besonders für Wissenschaftler, die an Supercomputern arbeiten, die beinahe so viel Energie wie eine Kleinstadt benötigen. Völlig andere Chips wie True North könnten ihnen helfen.

„Energie ist bei der Entwicklung das größte Hindernis", sagt Horst Simon vom Lawrence Berkeley National Laboratory, einer Forschungseinrichtung, die zu den großen Nutzern von Supercomputern gehört. „Dieser Chip ist ein Anzeichen dafür, dass wir vor einer grundlegenden Veränderung der [Chip-]Architektur stehen.

Das zugrundeliegende Design, das seit den 1940er Jahren in den meisten Computern und Mikroprozessoren genutzt wird, trennt die Bestandteile, die Berechnungen anstellen von denen, die Daten speichern. Die Bits bewegen sich durch sogenannte Bus-Leitung zwischen den Komponenten. Das System funktioniere gut bei bestimmten Aufgaben, sagt Forscher Modha, zum Beispiel beim Addieren sich wiederholender Zahlensätze. Und die Chips erledigen diese Aufgaben inzwischen viel schneller. Doch dieser Trend führt auch zu einem steigenden Energieverbrauch.

Wenn Daten über eine Bus-Leitung hin- und herlaufen, verlangsame das die Rechenleistung, sagt Modha. Um sie zu verbessern, dient das menschliche Gehirn als Vorbild. Es ist besonders effizient, wenn es darum geht, das Gesicht einer Person zu erkennen oder ein Geräusch von einem anderen zu unterscheiden. Nervenzellen – sogenannte Neuronen - verarbeiten und übermitteln über Synapsen Informationen.

Der Chip True North nutzt laut IBM 5,4 Milliarden Transistoren und damit vier Mal so viele wie ein herkömmlicher PC-Prozessor, um die Leistung von einer Million Neuronen und 256 Millionen Synapsen zu erreichen. Sie sind in 4.096 Strukturen gebündelt, die Daten lagern, verarbeiten und an andere Strukturen übertragen können.

Das Design sei „Ereignis getrieben", sagt Modha. Das bedeutet, dass die Strukturen nur arbeiten, wenn sie gebraucht werden, anstatt die ganze Zeit zu laufen. Das macht die Chips effizienter in Sachen Energieverbrauch. Während ein vergleichbarer gewöhnlicher Mikroprozessor auf 50 bis 100 Watt je Quadratzentimeter kommt, braucht True North laut IBM nur 20 Milliwatt.

Einsatz bei Katastrophen

Modha zeigte, wie die Technologie mit einer Videokamera eingesetzt werden kann und vom Dach eines Gebäudes Menschen ausmachen kann, die unten vorbeigehen. Der Chip könnte laut IBM beispielsweise an Unglücksstellen oder bei Waldbränden eingesetzt werden. „Das wird konventionelle Computer nicht ersetzen", sagt Modha. „Es ist eine sich ergänzende Beziehung."

Andere Unternehmen, darunter Intel und Qualcomm, entwickeln ihre eigenen sogenannten neuromorphen Chips. Dabei stehen die Ingenieure vor der schwierigen Aufgabe, die Programmierer dazu zu überreden, neue Methoden zur Software-Entwicklung zu erlernen.

IBM hat eine spezielle Programmiersprache und –werkzeuge entwickelt, die solche Chips simulieren sollen. Die Technologie „ist viel eher nutzbar als eine Menge anderer neuromorpher Systeme, die andere entwickelt haben", sagt Informatik-Professor Rajit Manohar, der daran mitarbeitet.

Doch andere Experten sagen, dass es noch zu früh sei, um zu sagen, wer beim Rennen um die neuartigen Chips die Nase vorn hat. Einer von ihnen ist Jeff Hawkins, Mitbegründer von Numenta, einem Start-up, das Hardware und Software baut, die auf einer Studie des Gehirns basiert.

Hawkins glaubt, dass zweidimensionale Chips wie True North eine Vorstufe zu Chips oder anderen Mitteln sind, die die vielen Verbindungen des Gehirns besser nachbilden. Es sei „ein langjähriger Prozess, herauszufinden, wie die richtige Nervenarchitektur aussieht". (DON CLARK, WSJ.de/derStandard.at, 11.8. 2014)