Die Bermudas: Eine der größeren Steueroasen

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Gabriel Zucman forscht an der Universität Berkeley, Kalifornien und wird im Herbst als Assistenzprofessor an die London School of Economics wechseln. Zucman hat auch mit seinem Doktorvater Piketty gemeinsam publiziert. Das wahre Ausmaß der Ungleichheit lasse sich erst verstehen, wenn man das unversteuerte Vermögen miteinbeziehe, sagt der 27-Jährige.

Sein Buch: "Steueroasen - Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird", erschien bei Suhrkamp. 118 Seiten, 14 Euro.

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Der als Star gefeierte Ökonom Thomas Piketty war sein Doktorvater, nun tritt Gabriel Zucman in seine Fußstapfen. Das Mitte Juli auf Deutsch erschienene Erstlingswerk des 27-jährigen Franzosen (Steueroasen - Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird) sorgt international für Furore. Zucman versucht in dem Buch mit neuen Berechnungen zu zeigen, wie viel Geld in den Steueroasen versteckt wird.

STANDARD: Herr Zucman, der erste Satz in Ihrem Buch lautet: Steueroasen bilden den Kern der europäischen Krise. Wie kommen Sie darauf?

Zucman: Weil Steuerhinterziehung einer der Gründe dafür ist, dass die Verschuldung in vielen Ländern Südeuropas so hoch ist. Das ist der wirtschaftliche Aspekt. Hinzu kommt die politische Dimension: In den vergangenen Jahren sind in Europa eine Reihe von Steuerbetrügern in der Politik aufgeflogen, besonders in Spanien und Frankreich. Das hat ein Gefühl auf dem Kontinent bestärkt, wonach die Eliten heillos korrumpiert sind. Das halte ich in einer Demokratie für bedrohlich. Schließlich gibt es in der EU aber selbst Steueroasen. Diese Länder stehlen nicht nur das Geld ihrer Nachbarn. Sie haben auch eine engere Zusammenarbeit in der Union verhindert, um das Problem mit den Offshore-Zentren in den Griff zu bekommen.

STANDARD: An welches Land denken Sie?

Zucman: An Luxemburg. In den vergangenen 30 Jahren hat das Land seine Staatssouveränität verkauft. Die Regierung sagt zu ausländischen Firmen und reichen Kunden aus Europa: Wenn ihr euer Geld herschafft, werden wir euch dabei helfen, Steuern in euren Heimatländern zu hinterziehen und Gesetze zu umgehen. Deswegen war ich so erschrocken, als es hieß, Jean Claude-Juncker werde Kommissionspräsident. Seine Bilanz als Luxemburgs Premier war in dieser Hinsicht verheerend.

STANDARD: Sie zeigen in Ihrem Buch, dass in Europa schon vor 100 Jahren über Schwarzgeldkonten diskutiert wurde. Welche war denn die erste Steueroase?

Zucman: Die Schweiz. Das Geschäft mit grenzüberschreitendem Vermögensmanagement begann im 18. und 19. Jahrhundert. Es war damals schon nicht ganz außergewöhnlich, wenn Deutsche und Franzosen ein Konto in Großbritannien oder in den Niederlanden unterhielten. Zu boomen begann das Business aber erst, als die progressive Besteuerung in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Europa eingeführt wurde. Schweizer Banken haben daraufhin in großem Stil begonnen, ihre Dienste als grenzüberschreitende Vermögensverwalter anzubieten.

STANDARD: Haben die Kunden ihr Geld in die Schweiz getragen, weil das Land als sicherer Hafen galt, oder ging es von vornherein darum, den Staat zu betrügen?

Zucman: Es ging um Hinterziehung, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich zeige das auch in meinem Buch: Wer sein Geld in der Schweiz anlegt, ist dort weder vor Inflation noch vor politischen Krisen oder Unternehmenspleiten geschützt. Denn die meisten Menschen legen ihr Geld nicht auf eine Schweizer Bank, um dort die mickrigen Zinsen zu kassieren. Sie investieren das Geld, so wie sie es zu Hause getan hätten: in Anleihen, Aktien und andere Wertpapiere, nehmen aber eben den Umweg über ein Schweizer Institut, um keine Steuern zahlen zu müssen.

STANDARD: Sie haben berechnet, dass in den Offshore-Zentren 4700 Milliarden Euro unversteuerten Vermögens liegen. Das entspricht der Wirtschaftsleistung Deutschlands und Frankreichs zusammen. Wie kommen Sie darauf?

Zucman: Es gibt in den internationalen Statistiken eine interessante Anomalie. Nehmen Sie das Beispiel eines Österreichers, der in den USA Google-Aktien kauft und die Papiere auf ein Schweizer Depot schafft. Die US-Statistiker werden auf der Passivseite eine Forderung registrieren, weil ein ausländischer Investor Ansprüche gegen ein US-Unternehmen hat. Aber auf der Aktivseite geschieht nichts. Die Steuerbehörden in Österreich wissen ja nichts von den Aktien. Dadurch tritt in den Vermögensbilanzen der Länder ein Ungleichgewicht auf. Ein sehr großer Teil des weltweiten Vermögens hat laut Statistik keinen Eigentümer.

STANDARD: Und das ist alles hinterzogenes Geld?

Zucman: Statistiker haben schon lange über diese Schieflage nachgedacht, und der Verdacht war im Raum, dass das etwas mit Steuerhinterziehung zu tun haben muss. Es gab aber keinen Beweis. Dieser lässt sich in den Daten der Schweizer und der Luxemburger Nationalbank finden. Allein in der Schweiz beläuft sich das nichtdeklarierte Offshore-Vermögen nach meinen Berechnungen auf 1800 Milliarden Euro, damit lässt sich also ein Drittel der beschriebenen Lücke in den internationalen Statistiken erklären. Aufschlussreich ist auch der Blick nach Luxemburg: Dort registrierte Fonds haben Anteile im Wert von 2200 Milliarden Euro begeben. Davon findet sich nur für etwas mehr als die Hälfte ein identifizierbarer Eigentümer im Ausland. Ein großer Teil dieses Vermögens ist hinterzogen.

STANDARD: Es gab seit Krisenausbruch viel Aufmerksamkeit für das Thema. Sie sagen aber, dass trotzdem immer mehr Geld in Steueroasen versteckt wird.

Zucman: Das ist die vielleicht wichtigste Botschaft in meinem Buch: Solange es keine konkreten Sanktionen gegen Steueroasen gibt, wird sich nicht viel verbessern. Es gibt zwar in der Zwischenzeit alle möglichen Zusagen - die EU-Länder etwa wollen den automatischen Austausch von Kontoinformationen einführen -, aber das sind Absichtserklärungen und Verträge, die Realität sieht anders aus. Bisher hat sich nämlich nichts geändert, das Geschäft mit der Hinterziehung ist weiterhin profitabel. Solange das aber so bleibt, gibt es für involvierte Länder und Banken auch keinen Anreiz, etwas zu ändern. Die Schweizer werden neue Wege finden, um die Identität ihrer Kunden zu verschleiern. Wer soll schon kontrollieren, was Schweizer und Luxemburger Institute an die übrigen Länder in Europa melden?

STANDARD: Ist das der Grund, warum Sie für Sanktionen gegen die Schweiz plädieren und Luxemburg aus der EU ausschließen wollen?

Zucman: Ich bin für den freien Handel und gegen Strafzölle. Aber Hinterziehung muss etwas kosten. Man kann Offshore-Zentren nicht einfach nett darum bitten aufzuhören. Aber die EU und die Industriestaatenorganisation OECD haben bisher nicht viel mehr gemacht, als es mit Diplomatie zu versuchen. Anders die USA: Amerika hat jenen Banken mit Sanktionen gedroht, die keine Daten an die US-Behörden liefern, und hat sich damit gegen die Finanzinstitute durchgesetzt. Die USA machen vor, wie man mit Steueroasen umgeht. Es ist ja verblüffend: Die Amerikaner haben Milliardenstrafen gegen Schweizer Banken verhängt. Aber die EU nicht, obwohl 20-mal mehr Vermögen von Europäern in der Schweiz versteckt wird.

STANDARD: Wie sehen Sie Österreich: Mit Luxemburg hat Wien ja lange verhindert, dass Bankkundendaten in der EU grenzüberschreitend gemeldet werden.

Zucman: Wenn ich mir die Daten ansehe, habe ich nicht das Gefühl, dass Österreich eine sehr große Rolle unter den Steueroasen spielt. Das Land hat zuletzt Zusagen für mehr Transparenz gemacht. Österreich ist am ehesten ein Land in Transformation: auf dem Weg von einem kleineren oder mittleren Offshore-Zentrum hin zu einem Land, das fair spielt. (DER STANDARD, 9.8.2014)