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Der Landfriedensbruch-Paragraf müsse entschärft werden, so wie es mit dem Mafia-Paragrafen bereits geschehen ist, sagt Bernd-Christian Funk.

STANDARD: In den vergangenen Monaten ist die Polizei wiederholt wegen überzogenen Vorgehens in der Kritik gestanden, etwa bei der Anti-Akademikerball-Demo. Was ist mit der Exekutive los?

Funk: Sie erlebt eine Phase der Verunsicherung. Wir haben es derzeit mit starken Konflikten und Gegensätzen in der Gesellschaft zu tun.

STANDARD: Welche der aktuell in Österreich spürbaren Veränderungen wirken derart tiefgehend?

Funk: Immer mehr Menschen sind mit ökonomischer Unsicherheit konfrontiert - auf die die Politik recht ratlos reagiert. Das erzeugt Radikalität. Und die Mehrheitsgesellschaft steht vielfach vor - wie manche vermeinen - extremen Auffassungen, etwa in der Gender-Diskussion. Gesellschaftliche Gruppen, die bisher von der Mehrheit nicht wichtig genommen wurden, fordern nun nachhaltig ihre Rechte ein.

STANDARD:: Und das verhärtet das Vorgehen der Polizei?

Funk: Die Polizei hat einerseits für die Sicherung des Bestehenden zu sorgen, ist andererseits aber auch den Menschenrechten und dem Schutz abweichender Auffassungen verpflichtet. Jahrhundertelang konnte sie sich auf ihren traditionellen Auftrag zur Sicherheitsvorsorge berufen, was vieles rechtfertigte. Aber autoritäre Auffassungen werden in immer höherem Ausmaß fragwürdig.

STANDARD: Aber spielt nicht auch der Umstand, dass im Polizeikörper rechte Positionen durchaus verbreitet sind, eine Rolle - siehe die Wahlerfolge der FPÖ-nahen Personalvertretungsliste AUF?

Funk: Organisationen wie die Polizei, die notfalls mit Waffengewalt für Ordnung sorgen müssen, üben auf Personen mit konservativer, autoritärer, gewaltbereiter Grundhaltung eine Anziehung aus. Nicht immer gelingt es, solche Menschen fernzuhalten. Autoritäre Neigungen werden stärker, wenn traditionelle Werte infrage gestellt werden. So erzeugt etwa das Spiel mit Geschlechtsidentitäten Verunsicherung und Angst.

STANDARD: Sodass etwa Conchita Wurst bis in die Polizei hinein verstörend wirkt?

Funk: Ich denke schon.

STANDARD: Was Rechtsextreme angeht, sorgt derzeit die Weitergabe von Anzeigernamen an die Website Alpen-Donau.info für Aufregung. Sind rechtsextreme Sympathien bei Polizei und Justiz ein Problem?

Funk: Ich glaube nicht, dass es bei der Polizei und in der Justiz eine große Zahl Rechtsextremer gibt. Aber ich habe den Eindruck, dass Einzelne mit derlei Einstellungen das System infizieren können. Auf alle Fälle muss diese Affäre lückenlos aufgeklärt werden.

STANDARD: Doch wie gut funktioniert in Österreich derlei Aufarbeitung, wie steht es um den Umgang mit polizeilichen oder juristischen Fehlern? Zuletzt wurde etwa die 600.000-Euro-Schadenerstatzforderung des Hauptangeklagten und rechtskräftig Freigesprochenen im Tierschützerprozess, Martin Balluch, mit dem Argument abgelehnt, er hätte sofort nach seiner Festnahme klagen müssen.

Funk: Es gibt eben auch massive Fehlleistungen im System. Was Schadenersatzforderungen an die Justiz angeht, muss gesetzlich dringend etwas geschehen, aufdass Betroffene künftig angemessene Summen erhalten.

STANDARD: Weil sich andernfalls die von Ihnen angesprochenen Gegensätze weiter vertiefen?

Funk: Ja. Ein Urteil wie jenes im Fall Balluch ist ein weiteres Steinchen in einem Mosaik der Unzufriedenheit: Die Gefahr ist, dass hier Quantität irgendwann in Qualität umschlägt. Kein Rechtsstaat hält das auf Dauer aus.

STANDARD: In den vergangenen Jahren schien es mehrfach, als würde das Strafrecht als Waffe gegen Unliebsame verwendet - etwa beim Prozess gegen den Demonstranten Josef S. Was ist mit der Justiz los?

Funk: Die gesetzlichen Grundlagen sind vielfach notleidend, also fehlkonstruiert: Sie enthalten Programme, die dazu führen können, dass im Ergebnis etwas herauskommt, was gar nicht herauskommen sollte. Beim Mafiaparagrafen wurde das geändert, beim Landfriedensbruch-Paragrafen steht das noch aus - hier sollte die Strafbarkeit des bloßen Anwesendseins fallen. Der Landfriedensbruch-Paragraf enthält übrigens eine Absurdität: Das Begehen eines Mordes im Zuge einer "Zusammenrottung" wird mit bis zu drei Jahren bestraft, während auf Mord sonst bis zu lebenslang steht.

STANDARD: Wie kommt es, dass der Landfriedensbruch-Paragraf gerade in der letzten Zeit öfter angewendet wird?

Funk: Weil es eine weitere gefährliche Tendenz gibt: jene der Instrumentalisierung von Bestimmungen, also wenn Paragrafen umfunktioniert werden, sodass das Ergebnis nicht mehr dem Sinn der Strafnorm entspricht.

STANDARD: Sehen Sie derlei Instrumentalisierungsgefahr auch bei anderen Regelungen?

Funk: Ja, etwa im Sicherheitspolizeirecht, aber auch in der Strafprozessordnung, wo seit den 1990er-Jahren immer wieder neue Instrumente wie Lauschangriff oder Rasterfahndung dazugekommen sind. Zwar ist das zum Teil totes Recht, kann aber wieder mobilisiert werden. Mir kommt das fast wie Vorratshaltung bei staatlichen Eingriffsmitteln vor. (Irene Brickner, DER STANDARD, 9.8.2014)