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Österreichs Schweinebauern suchen nach Ersatzmärkten für besonders fettes Fleisch.

Foto: APA/Patrick Pleul

Brüssel/Moskau/Wien − Die Nervosität in Europas Wirtschaft ist angesichts der neuen Sanktionsrunde hoch. Ein Einfuhrverbot von Fleisch, Fisch, Milchprodukten, Obst und Gemüse aus den westlichen Staaten hat die EU-Kommission zwar dazu veranlasst, den betroffenen Bauern Unterstützung zuzusichern − EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos stellte den Landwirten am Freitag ein Anzapfen der Krisenreserve in Aussicht −, doch die Summen, die im Handel mit Russland auf dem Spiel stehen, stellen die Krisenreserve in den Schatten.

Der Topf speist sich aus einbehaltenen Direktzahlungen an Europas Landwirte und beinhaltet laut Kommission aktuell 400 Millionen Euro. Die EU-Agrarexporte nach Russland machten 2013 aber etwa 11,9 Milliarden Euro aus. Allein Österreich hat im vergangenen Jahr agrarische Güter im Wert von 238 Millionen Euro in die russische Förderation ausgeführt. Auch bei der EU-Kommission betont man auf STANDARD-Nachfrage: "Priorität muss für die Landwirte haben, andere Absatzmärkte zu finden". Die Krisenreserve könne nur im äußersten Notfall eine Überbrückungshilfe sein.

Auch Russland selbst muss sich neu orientieren. Das Land ist auf den Import von Lebensmitteln wie Butter, Käse, Rind- und Schweinefleisch angewiesen. Nur zwei Länder weltweit importieren etwa mehr Käse als Russland. Das Importverbot für polnische Äpfel treibt etwa bereits absurde Blüten. Nachrichtenagenturen berichten, dass der Moskauer Zoo sich angesichts des Importstopps nach neuen Lieferanten für das Futter der Zoobären umsehen muss.

Bereits vor der jüngsten Sanktionsrunde sind die Ausfuhren nach Russland rückläufig gewesen. Das zeigt etwa ein Blick in die heimische Außenhandelsstatistik. Die österreichischen Exporte nach Russland sind im Vergleich zum Vorjahr in den Monaten Jänner bis Mai um 9,7 Prozent eingebrochen, wie Daten der Statistik zeigen. Der Rückgang geht aber über die reinen Agrarprodukte hinaus. Das Minus der ersten Monate 2014 liegt bei rund 140 Millionen Euro.

"Konjunkturlage eingetrübt"

Beim Wirtschaftsforschungsinstitut warnt man bereits vor einer neuerlichen Eintrübung der Konjunktur. Erst im Juni hatten die Ökonomen die Wachstumsaussichten für Österreich auf 1,4 Prozent in diesem Jahr zurückgestutzt. Im Vergleich zur Juni-Prognose werde es "ziemlich wahrscheinlich keine Verbesserung geben", sagt Wifo-Ökonom Stefan Schiman. Im Gegenteil: "Die Konjunkturlage hat sich generell eingetrübt, besonders ausgeprägt ist die Schwäche in der Sachgütererzeugung und in der Baubranche." Das geht aus den Einschätzungen der Unternehmen hinsichtlich der Auftragslage hervor. "Unternehmen halten sich angesichts der gestiegenen Risiken mit Investitionen zurück", schließt Schiman aus den Daten.

Damit steht Österreich nicht allein da. Zuletzt ist auch der ifo-Index, ein wichtiger Frühindikator für die deutsche Konjunktur, dreimal in Folge gefallen. Die jüngste Volatilität an den Finanzmärkten, etwa gestiegene Rohstoffpreise und fallende Aktienkurse, könnte diesen Trend, wie Volkswirte warnen, noch verstärken. So fürchtet Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dass der Ukraine-Konflikt auf die Stimmung und daher auf die Investitionen und die Konsumlaune drücken könnte. Am Donnerstag hatte auch die Europäische Zentralbank vor den gestiegenen Risiken für Europas Konjunktur angesichts geopolitischer Risiken gewarnt.

Konjunkturexperten gehen bereits davon aus, dass Europas größte Ökonomie, die auch Österreichs wichtigster Absatzmarkt ist, im dritten Quartal kaum noch wachsen dürfte. So warnt etwa Andreas Scheuerle, der für die Dekabank die deutsche Wirtschaft analysiert, er habe "die Hoffnung aufgegeben, dass das dritte Quartal kräftiges Wachstum bringt". (sulu, DER STANDARD, 9.8.2014)