Der frühe Tod Barbara Prammers hat eine Lücke hinterlassen, die zu füllen ihrer Partei nicht leichtfallen wird, und über ihre Partei hinaus eine Betroffenheit geweckt, die in ihrer Emotionalität über das hinausgeht, was der Tod einer Politikerin, eines Politikers gewöhnlich hervorruft. Ihre Verdienste im Einzelnen, nicht nur für die Sache der Frauen, wurden und werden gewürdigt, aber versucht man, den Ruf zu verstehen, der sich nun in Nachrufen verdichtet, dann könnte er darin bestehen, dass sie in Zeiten politischer Trägheit an eine Veränderbarkeit der österreichischen Verhältnisse zum Besseren nicht nur glaubte, nicht nur davon redete, sondern mit der Kraft ihrer Persönlichkeit und der Autorität, die ihr das Amt gestattete, offen dafür eintrat, wo immer es fällig war.

Gutes tun wollen viele, oder geben es zumindest vor - solange nur alles so bleibt, wie es ist. Barbara Prammer war das zu wenig, und das konsequente Aufzeigen von gesellschaftlichen Missständen, die es zu beseitigen gilt, verlieh ihr eine Glaubwürdigkeit, die auf Beschönigung, Verharmlosung und Verschleppung trainierten Politikerinnen und Politikern von der Bevölkerung inzwischen fast schon gewohnheitsmäßig abgesprochen wird. Am liebsten übrigens und ebenso gewohnheitsmäßig von denen, deren Gunst sie sich, unbelehrbar, immer wieder zu erkaufen suchen.

Vor diesem Hintergrund stieg Prammer zu einer Persönlichkeit von fast schon ikonischem Charakter auf, die anlässlich ihres 60. Geburtstages als das "Gewissen der Republik Österreich" angesprochen werden konnte, ohne dass es irgendwo als peinlich oder unangemessen empfunden worden wäre. Denn sie hatte klare Vorstellungen vom Wesen der Demokratie, davon, was zu ihrer Ausgestaltung praktisch zu tun wäre, und ebenso von den Gefahren, die sie bedrohen, wie Intoleranz, Rassismus und Geschichtslügen.

Dafür öffnete sie das Parlament nicht nur der interessierten Bevölkerung für ein breites Spektrum aktueller Themen, sondern auch für Gedenkveranstaltungen, in denen österreichische Geschichte kritisch aufgearbeitet wurde. An der Grundproblematik des österreichischen Parlamentarismus etwas zu ändern - dass Gesetze von der Exekutive fabriziert und von der Legislative, eventuell leicht verändert, nur noch abgesegnet werden - konnte sie nichts ändern. Was nicht überrascht, erforderte das doch ein Demokratieverständnis, von dem die Parteien noch entfernt sind, und vermutlich nicht nur sie, kommt die Sprache auf die damit verbundenen Kosten. Dass das Parlament nicht zu viel kosten sollte, wurde auch offenbar, als es um die Renovierung des Hohen Hauses ging.

Von Barbara Prammer wäre für eine dringend nötige Weiterentwicklung der Demokratie viel zu lernen. Ob das geschieht oder ob ihr politisches Erbe - entgegen vieler Beschwörungen des Gegenteils - mit den Trauerfeierlichkeiten eingezogen wird, liegt nun an der SPÖ. Vielleicht sollte sie sich bei dieser schwierigen Entscheidung an Barbara Prammer halten, die ihren Genossen einmal zurief: "Mehr Mut, in den Gremien ist es angesagt, den Mund aufzumachen." Übrigens nicht nur in den Gremien. (Günter Traxler, DER STANDARD, 8.8.2014)