Teufelskreis der Ausgrenzung: Wer ausgeschlossen wird, fühlt sich bedroht und reagiert oft mit Feindseligkeit - und wird dadurch weiter abgedrängt.

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Die Sozialpsychologin Nilüfer Aydin simuliert Mobbing im Labor.

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Klagenfurt - Sie sind weniger gebildet, ärmer und häufiger arbeitslos als andere: Migranten und Menschen, deren Vorfahren welche waren. Sie haben tendenziell weniger Chancen als "Einheimische", wie erst kürzlich der jüngste Integrationsbericht zeigte. Regelmäßig wird die Bereitschaft von Zuwanderern, sich in die Gesellschaft einzugliedern, infrage gestellt, eigene Klassen für Kinder mit Deutschproblemen gefordert - und somit ihre Ausgrenzung.

Wie Menschen mit der Rolle des "Außenseiters" zurechtkommen und welche Mechanismen dabei wirken, ist das Forschungsgebiet der deutschen Sozialpsychologin Nilüfer Aydin. Ein brandheißes Thema: "Befunde von Kollegen zeigen, dass junge Muslime, die sich von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt fühlen, eher dazu neigen, intoleranter und feindseliger gegen diese zu werden. Werden sie von der eigenen ethnischen Gruppe ausgeschlossen, kann das religiösen Fundamentalismus stärken." Aydin fügt hinzu: "Das trifft aber genauso auf Christen zu. Generell werden Menschen, wenn sie sich bedroht und unsicher fühlen, immer konservativer - auch, was ihre politische Einstellung betrifft."

Teufelskreis Isolation

Ein Teufelskreis ist die Folge: Wird Zuwandern vorgeworfen, in einer "Parallelgesellschaft" zu leben, verstärkt dies das Gefühl, ausgegrenzt zu werden - was wiederum dazu führen kann, dass es tatsächlich zum Rückzug in die eigene Community führt und Integration immer schwieriger macht. "Eine selbsterfüllende Prophezeiung", sagt Aydin.

Die 34-jährige Forscherin, die im Februar dieses Jahres von der Ludwig-Maximilians-Universität in München an die Alpen-Adria-Universität Klagenfurt wechselte, hat in einer vor kurzem veröffentlichten Studie gezeigt, dass soziale Ausgrenzung auf der anderen Seite auch zu mehr Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung von ethnischen und religiösen Minderheiten führt. Gebürtige Deutsche, die sich ausgeschlossen und hilflos fühlten, plädierten eher für eine strengere Einbürgerungspolitik und gegen einen Moscheebau als solche, die ein Zugehörigkeitsgefühl empfanden.

Körperliche Stress-Reaktion

Doch was bedeutet soziale Exkludierung - so der Fachbegriff - eigentlich? "Das Gefühl, von anderen getrennt zu werden, ohne zu wissen, warum, das Gefühl, nicht wahrgenommen und nicht akzeptiert zu werden, wird als hochgradig negativ und sehr bedrohlich empfunden - selbst wenn es gar keine Ausgrenzungsabsicht gibt", erklärt Aydin. Dieser Angriff gegen das elementare Bedürfnis dazuzugehören, wirkt sich körperlich aus: Der Blutdruck steigt, Stresshormone werden ausgeschüttet, Entzündungsreaktionen treten auf. "Mobbing kann auf lange Sicht zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einer Schwächung des Immunsystems, Schlafstörungen, suizidale Gedanken und Depressionen führen", betont Aydin.

Cyberball simuliert Ausgrenzung

Die Psychologin ist vor allem an den kurzfristigen Effekten interessiert - denn die lassen sich experimentell im Labor untersuchen. "Wir manipulieren die Testpersonen, sodass sie ein Gefühl des Ausgeschlossenseins bekommen", erklärt Aydin. Was zunächst grausam erscheint, ist eine Methode, die auf den US-Sozialpsychologen Kip Williams zurückgeht, der in den 1990er-Jahren ein Computerspiel namens Cyberball entwickelte, um die Effekte sozialer Ausgrenzung systematisch untersuchen zu können.

Dabei spielt die Versuchsperson mit zwei oder drei anderen Spielern, die vermeintlich über das Internet verbunden sind, aber in Wirklichkeit durch das Programm gesteuert werden. Die Spieler werfen sich gegenseitig einen Ball zu. Am Anfang bekommt die Versuchsperson den Ball ein paarmal zugespielt, dann wird sie konsequent ausgelassen.

Dieses einfache Spiel kann sich beträchtlich auf die Gemütslage auswirken. Wie traurig, ängstlich oder aggressiv die Ausgegrenzten reagieren, wird mithilfe von Fragebögen und anderen Tests gemessen. Das Gefühl des Außenseiters kann aber auch erzielt werden, wenn die Probanden sich an eine Episode in ihrem Leben erinnern, in der sie gemobbt oder ausgebootet wurden.

Angriff auf das Selbstwertgefühl

"Soziale Ausgrenzung führt vor allem zu einer Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls und dem Eindruck von Kontrollverlust", schildert Aydin. "Das kann auch kognitive Fähigkeiten angreifen und die Konzentrationsfähigkeit schwächen. Gerade bei Schulkindern ist das ein Problem." Ausgrenzung beeinflusst zudem die Selbstregulation. Das heißt, dass Außenseiter Impulse weniger gut kontrollieren können und eher aggressiv werden. Auch das betrifft besonders Kinder, deren Selbstbewusstsein und -kontrolle ohnedies noch nicht ausgereift sind.

Welche fatalen Folgen das haben kann, zeigen Schul-Amokläufer. "In 13 von 15 Fällen wurde eine akute oder chronische Ausgrenzung festgestellt" , zitiert Aydin eine US-Studie aus dem Jahr 2001. "Auch wenn hier fast immer Pathologien dazukommen."

Rauchen, essen, beten

Doch es gibt auch noch ganz andere Strategien, um mit sozialer Ausgrenzung umzugehen: Kompensation mit Rauchen oder fett- und zuckerhaltigen Speisen etwa - dem geht Aydin aktuell nach. Eine andere Möglichkeit ist die Zuflucht bei einer höheren Macht. "Religion und Spiritualität vermitteln ein Aufgehobensein, das protektiv gegen soziale Ausgrenzung wirkt", sagt Aydin. In einer bereits 2010 erschienen Studie befragte ein Team um die Psychologin mehr als 450 Personen türkischer Abstammung, sowohl solche, die in der Türkei als auch solche, die in Deutschland lebten.

Migranten sind religiöser

"Die migrierten Türken schätzten sich - unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status - religiöser ein als die Daheimgebliebenen", sagt Aydin. Die Forscher fanden eine signifikante Übereinstimmung zwischen der Hinwendung zur Religion und dem Gefühl, in der Gesellschaft nicht angenommen zu werden. Hinweise darauf, dass die Ausgrenzung zu religiösem Fundamentalismus führt, fand Aydin in ihrer Untersuchung nicht. Die Tests suggerierten hingegen, dass sich zurückgewiesene Teilnehmer weniger aggressiv verhielten, wenn sie daran erinnert wurden, welche Rolle Religion in ihrem Leben spielt. "Auf individueller Ebene kann Religion als Puffer dienen. Dort, wo Hilflosigkeit, Ängste und das Gefühl, überhaupt kein Mitspracherecht zu haben, sehr groß sind, kann Religion aber auch politisch instrumentalisiert werden", räumt Aydin ein.

Generell seien Menschen aus kollektivistischen Kulturen, in denen das soziale Umfeld und die Familie im Vordergrund stehen, stressresistenter im Fall von Zurückweisungen als Menschen aus eher individualistischen, westlichen Kulturen. Cyberball-Opfer aus Asien, dem Nahen Osten und Ex-Jugoslawien hätten sich konsequent weniger bedroht gefühlt, erzählt Aydin. "Wir vermuten, dass das chronische Gefühl des Eingebettetseins dafür verantwortlich ist." Das Gefühl, nicht allein zu sein, und ein gesundes Selbstwertgefühl - wohl die besten Mittel, um der Außenseiter-Falle zu entkommen. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 6.8.2014)