Nach einem Event wie der "Gore-Tex Experience Tour" dem Lockruf des Sofas zu erliegen wäre fein und fatal zugleich. Denn Bewegung macht müde Beine rascher wieder munter - und: Nach dem Event ist vor dem Event. Auch wenn ich meine Pläne für den "Mühlviertel 8000“ kurzfristig ändern muss.

Nach dem Event ist vor dem Event. Und außerdem soll und darf man die müden Knochen sich nicht auf Sofa-Modus einstellen lassen. Wobei: Um die Knochen geht es nicht - sondern primär um die Muskeln. Also den gesamten Bewegungsapparat: Klar, die Gore-Tex Experience Tour war vor allem wunderschön. Aber auch superanstrengend. Nicht nur für mich - auch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer posteten, dass sie daheim „wie tot“ angekommen seien.

Abgesehen von einem Container toller Erinnerungen, einer Menge neuer Freunde und einem bumstivollen Ikea-Sack voll neuer Rad- und Bike-Outfits zum Es-ist-ja-schon-dreckig-und-verschwitzt-was-sollen-wir-also-jetzt-damit-noch-anfangen-Entsorgungspreis hatte natürlich auch ich die große Müdigkeit mit nach Hause gebracht. Vollkommen normal - und für die Umwelt recht lustig: Das Nahtoderlebnis "Stiegen runtergehen“nach solchen Events ist ein Youtube-Klassiker.

Foto: foto: © kelvintrautman|nikon|lexar for gore

Nur: Sitzen und Knotzen macht es nicht besser. Im Gegenteil: Ein bisserl was - und zwar wirklich nur ein bisserl - hilft, den Dreck aus den Muskelfasern rascher rauszuspülen. Außerdem ist nach dem Event vor dem Event: Mitte August soll ich ja bei der Achter-Staffel-Veranstaltung "Mühlviertel 8000“ in einer der beiden von unserer Laufgang angemeldeten Mann- und Frauschaften den Berglaufteil übernehmen: 15 Kilometer und irgendwas zwischen 600 oder 700 Höhenmetern.

Nach dem Gore-Trail klingt das zwar nach Kindergeburtstag - aber auch eine Kinderjause organisiert sich nicht von selbst.

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Außerdem saß ich grad in Salzburg: Mein Hauptarbeitgeber, Servus TV, übertrug vergangenen Sonntag ja nicht nur den "Don Giovanni“ live , sondern im Rahmen eines Rund-um-die-Oper-Marathons fünf Stunden lang wirklich alles, was im Vor- und Umfeld vor und hinter der Bühne passierte.

Ich spielte bei diesem spannenden "Sendung mit der Maus"-Projekt den Backstage-Reporter - und fetzte mit einem Kamerateam zwischen Garderoben, Maske, Statisterie, Orchestergraben und Bühnenaufgängen hin und her. Oder genauer: rauf und runter. Im "Haus für Mozart“verteilt sich all das über fünf Stockwerke. Auf den Lift warten ist in einer Live-Sendung nicht drin.

Foto: Thomas Rottenberg

Sonntag war live - aber schon am Mittwoch gab es eine 1:1-Durchlaufprobe. Anreisetag: Dienstag. Vor der Probe war auch noch Zeit - und so wirklich habe ich mir Salzburg in den letzten Jahren nie angesehen. Ich bin schließlich nicht als Tourist hier. Aber: Andere Städte "erlaufe“ich mir ja auch.

Foto: Thomas Rottenberg

Zuerst revoltierten die Beine. Erwartbar. Und die beim Mountainbiken heftiger als gedacht geprellte Kniescheibe schickte einen Entmündigungsantrag an alles, was bei mir noch zurechnungsfähig sein könnte. Ebenso erwartbar.

Dass ich nicht einmal, wenn ich gewollt hätte, viel mehr als die von meiner Trainerin Sandrina Illes eingemahnten "höchstens sechs Minuten am Kilometer“geschafft hätte, auch.

Doch obwohl ich wusste, was kommen würde, war ich dann doch wieder - so wie jedes Mal - überrascht: Nach ein paar Kilometern wurde aus dem abgehackten Staksen, dem lustlosen Kriechen und schwerfälligen Trampeln tatsächlich fast so etwas wie Laufen. Nix auch nur annähernd Locker-Leicht-Schwebend-Fliegend-Beschwingtes. Aber eben doch Laufen.

Foto: Thomas Rottenberg

Salzburg aus der Touri-Perspektive hat schon was. Gerade weil ich sonst die Soll-Foto-Orte und Pflichtplätze auslasse: Auch wenn Touristen Schafe sind, die man in Herden an die seltsamsten Plätze schicken kann, um sie auszunehmen, hat es seine Gründe, wieso manche Spots von Menschen aus der ganzen Welt angefahren werden.

Natürlich geht es da darum, Erwartungshaltungen zu bestätigen und im Vorhinein in Köpfe projizierte Bilder dann tatsächlich vor die Augen gesetzt zu bekommen: Tourismus ist ein affirmatives Geschäft. Nur: Mit ganz schiachen Orten würde das nicht funktionieren.

Foto: Thomas Rottenberg

Die lockere Joggerei tat doppelt gut: Nicht nur die Beine, auch der Kopf wurde frei. Und: Ich frischte meinen inneren Stadtplan auf. So gut, dass ich mich intuitiv in und zwischen Gasserln und Platzerln und Durchgängen zurechtfinden würde, kenne ich die Salzburger Innenstadt auch wieder nicht.

Nicht dass man sich in Salzburg jetzt tatsächlich verlaufen könnte. Aber zu wissen, wo was wie hinter welcher Ecke kommt, ist schon ganz okay.

Foto: Thomas Rottenberg

Ganz abgesehen davon merkte ich bei der Probe: Die Reaktivierung der müden Beine in der Früh war ein Segen. Sonst wäre ich am Abend, beim fünfstündigen Stiegenlaufen im Anzug, schon in der ersten Runde zusammengebrochen.

Foto: Thomas Rottenberg

Zwischen Probe und Sendung war frei. Ab nach Wien. Im Zug kam die Hiobsbotschaft: Die beiden, die sich beim Mühlviertel 8000 für die Rennrad-Etappen angemeldet hatten, würden am 15. August nicht dabei sein. 14 andere Leute hingen plötzlich in der Luft.

Kurzfristig, in der Ferienzeit und auch noch an einem Feiertagswochenende zwei Nasen aufzutreiben, die in zwei zum Teil sicher nicht flinken Einfach-nur-Spaß-Partien 65 Kilometer plus 1000 Höhenmeter am Rad machen wollen würden, wäre nicht ganz einfach: Die, die in unserem Umfeld für solchen Unfug infrage kommen, hatten wir ja schon als Schwimmer, Läufer, Mountainbiker, Nordic-Walker oder Dirtrunner schanghait.

Screenshot/Foto: Copyright ASVÖ MÜHLVIERTEL 8000

Es kam, was kommen musste: "Wir müssen flexibel sein. Und innerhalb der Gruppen umschichten: Du bist doch grad mit dem Rennrad ein bisserl durch die Berge gefahren. Könntest du nicht …“ Klar könnte ich. Klar würde ich. Und: Klar werde ich. Aber wollte ich auch?

Ich hatte mich schon sehr auf den Berglauf gefreut. Und der hat in meinem Trainingsplan zum New York Marathon einen fixen Platz: Schwerpunkt, hatte Illes postuliert, sei ab sofort Laufen. Ausdauer, Topspeed - und Tempohärte. Radfahren kommt da bis auf weiteres nur als Ausgleich und zum Entspannen vor.

Foto: Thomas Rottenberg

Egal. Einen Läufer und einen Radfahrer zu finden war tatsächlich leichter als zwei Biker. Statt in die Trailschuhe und in den Lainzer Tiergarten oder auf die hügeligen Wanderwege zwischen Steinhof und Nussdorf, schlüpfte ich eben wieder in die Radschuhe - und sagte "Hi“ zu Greifenstein & Riederberg.

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Den Trainingsplan ein bisserl zu adaptieren war natürlich keine Hexerei. Und auf der Hausstrecke noch einmal zu erleben, dass das neue Zeug, das ich letzte Woche zwischen Arlberg und Reschensee erstmals eingeschwitzt hatte, bei wechselhaften Wienerwald-Bedingungen tatsächlich mehr kann als das, was ich sonst anhabe und mitschleppe, macht Spaß.

Dass ich beim Hügelfahren dem supergeilen (und supersuperteuren) Felt-Bike vom Gore-Tex-Trip der Vorwoche die eine oder andere Träne (und Schweißperle) nachweinte, darf meinem alten, braven Durchschnitts-Cannondale-Rad halt niemand verraten. Und dass die GoPro dann, wenn sie, statt nur auf Foto-, auch im Videomodus arbeiten soll, doppelt so oft abstürzt und den Akku rascher leersaugt als ich meine Wasserflasche, ist eine brauchbare Erfahrung. Auch das zu lernen gehört zum Training.

Foto: Screenshot

Darum endet das nun folgende Video de facto am Riederberg: So lebensmüde, bei Abfahrten oder in anderen, nicht zu 150 Prozent sicheren Situationen, mit dem iPhone herumzufuchteln, bin ich nämlich nicht.

Außerdem: Soooo schlimm ist Rennradspazierenfahren ja schließlich auch nicht. Ganz Im Gegenteil.

(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 6. 8.2014)

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