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Skurrile, bunte Szenen bei den Bregenzer Festspielen: Benjamin Appl (als Leo) und Theresa Dlouhy (als Imogen).

Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Bregenz - Die Jungen schauen ja nur noch wenig in die Glotze. Sie planschen im Weltmeer der Information, Kommunikation und Unterhaltung, im Internet. Dem Fernsehen halten noch die Analoggenerationen die Treue und werden dort mit Kochsendungen, Quiz-Shows und Sitcoms sediert.

David Pountney schaut im Fernsehen höchstens Cricket, aber er liebt Neues. 21 österreichische Erstaufführungen und 24 Uraufführungen hat der "Wiedergänger des Showprofis Immanuel Schikaneder" (Die Zeit) in seiner elfjährigen Intendanz auf die Bühnen der Bregenzer Festspiele gebracht - zuletzt etwa die ersten drei Folgen der "Sitcom-Oper" Das Leben am Rande der Milchstraße, einer Koproduktion mit Wien Modern und dem Konzerthaus Wien.

Das Grundthema ist schon mal sehr heutig: Effizienzfetischismus und Optimierungswahn. Rätselhafterweise spielt die Europäische Union die Rolle der marktwirtschaftlichen Domina: Das thematisch und auch generell recht zerstreut vor sich hin forschende European Bureau of Future in der Klosterneuburger Milchstraße wird von zwei Evaluierungsexperten heimgesucht, die prüfen sollen, ob die EU-Mittel, aus denen sich der Thinktank finanziert, noch gerechtfertigt sind.

Der smarte, hollywoodschöne Leopold Maria Bloom (Benjamin Appl) und seine ambitiöse Assistentin, die Praktikantin Imogen Wirth (Theresa Dlouhy), treffen auf das bunte Forschungspersonal des EBF: den Chef und Ex-Hippie Jürgen Oder (Nicholas Isherwood), die kurvernreiche Büromama Donatella Weyprecht (Anna Clare Hauf), den künstlerisch veranlagten Nerd Kevin von Széchenyi (Bernhard Landauer) und die Revolutionsexpertin Yumi Desphande (eben noch in Baden, nun in Bregenz: Bibiana Nwobilo).

Die von den Librettisten Johannes Heide und Christa Salchner entworfenen Verwerfungen, die aus dem Eindringen der zwei Prüfhaie in das Habitat des EBF-Personals resultieren, sind einigermaßen amüsant, wenn auch Pointendichte und Erzähltempo im Vergleich mit den US-Sitcoms als medioker bezeichnet werden müssen. Nicola Raab hat das skurrile Szenario witzig inszeniert und prägnante, charmante Figuren gezeichnet. Weniger charmant als widerborstig und verstörend gibt sich die Musik des Comic- und Hard-Rock-Fans Bernhard Gander: Cello, Kontrabass, Kontrabass-Klarinette und E-Gitarre liefern meist schwarze, raue, schmerzende Schürfarbeiten aus dem Grenzgebiet von Neuer Musik und Heavy Metal, ergänzt von Einspielungen elektronischer Musik. Mal werden rezitativische Passagen perkussiv begleitet, mal gibt es richtige Gesangsduelle und auch kurze Chöre (es spielt das Ensemble Phace unter der Leitung von Simeon Pironkoff).

Gander zeichnet die Figuren extrem gegensätzlich: Oder brummt in den tiefsten Bassregionen herum, Weyprechts physische Kurvigkeit wird durch sinnliche Kantilenen verdeutlicht, der verkopfte IQ-King falsettiert, die Berufsrevolutionärin schießt hohe Töne ab wie Pistolenkugeln, die brave Assistentin singt musicalnah, der seriöse Schöni Bloom darf etwas opern.

Fazit: Es gibt sie also nun, die Sitcom-Oper für Klangforum-Abonnenten. Bleibt nur zu hoffen, dass dann auch die Quote stimmt. (Stefan Ender, DER STANDARD, 4.8.2014)