Klosterneuburg/Wien - "An diesen Nervenzellen kann man das Traumexperiment jedes Neurowissenschafters machen - sie in einem Versuchstier aktivieren oder hemmen, und beobachten, wie sich das Verhalten ändert", erklärte Peter Jonas vom Institute of Science and Technology (IST) Austria. Die Rede ist von speziellen Schaltzellen im Gehirn, deren Stellenwert in der Neurowissenschaft er im Fachjournal "Science" beschreibt.

Bei den Zellen handelt es sich um die sogenannten "schnell feuernden, Parvalbumin positiven, GABAergen Interneurone". Sie spielen sowohl beim Lernen eine Rolle, als auch bei Gehirnkrankheiten wie der Epilepsie, so Jonas. Sie unterdrücken (inhibieren) Signale und kontrollieren damit die Aktivität anderer Gehirnzellen. Funktionieren sie wegen eines Defektes nicht oder werden sie bei Versuchstieren ausgeschaltet, kommt es zu überschießender Erregung; ein epileptischer Anfall kann die Folge sein.

"Obwohl man glauben könnte, dass reizunterdrückende Zellen immer nur dämpfend wirken, sind sie auch an der Generierung rhythmischer Aktivität, zum Beispiel bei Gamma-Wellen, beteiligt", sagte er. Trotzdem nehmen sie vor allem maßregelnde Aufgaben wahr, etwa bei der Vorwärts- (Feed forward inhibition) und Rückwärtskontrolle (Feedback inhibition) in Gehirnschaltkreisen.

Glücksfall für die Neurowissenschafter

"Für die Neurowissenschafter sind diese Zellen ein Glücksfall, weil sie zahlreiche Alleinstellungsmerkmale besitzen", erklärte er. Man kann sie etwa anhand von Parvalbumin (einem Kalzium bindenden Protein) oder Kalium-Kanälen (für die elektrische Aktivität wichtige Membranproteine) markieren und so leicht von allen anderen Zelltypen unterscheiden. Auch ihr schnellfeuerndes Aktionspotenzialmuster sei sehr charakteristisch, sie sind also auch in Elektrogrammen gut als Urheber erkennbar.

Die Identität des Signalgebers zu kennen, sei in einem so komplexen Umfeld wie dem Gehirn äußerst wichtig, so Jonas. "Wenn man mit gut identifizierten Zellen arbeitet, ist die Aussagekraft der Experimente und der Ergebnisse sehr hoch", erklärte er. "In diesem Glücksfall sind die Zellen einfach zu identifizieren und daher kann man sehr weitgehende Schlussforderungen gewinnen", sagte er. Deshalb seien diese schnell feuernden Nervenzellen in den vergangenen Jahren bei den Forschern besonders populär geworden.

Gezielt ein- und ausschalten

Mit sogenannten "optogenetischen Schaltern", also genetisch veränderten Proteinen, die durch Laserlicht an- oder abgeknipst werden, könne man diese Nervenzellen seit neuestem sogar gezielt in Versuchstieren stimulieren oder abschalten, und beobachten, wie sich eine solche Manipulation auf das Verhalten auswirkt. Damit dient die Forschung an den ganz speziellen, kaum aussprechbaren Nervenzellen dazu, eine der großen Fragestellungen der Neurobiologie zu analysieren: den Zusammenhang von so unterschiedlichen Ebenen wie Zell-Funktion und Verhalten. (APA/red, derStandard.at, 02.08.2014)