Die Grinsekatze aus "Alice im Wunderland": ein Quantenphänomen.

Illu.: Wikimedia

Wien – Die Quantenmechanik hat den Menschen schon einige Erkenntnisse beschert, die einer intuitiven Auffassung von physikalischen Vorgängen entgegenläuft. Sie beschreibt Teilchen, die durch eine Barriere "tunneln", an der sie eigentlich abprallen sollten. Unteilbare Einheiten nehmen plötzlich zwei Wege gleichzeitig. Und Messungen verändern den Zustand des gemessenen Systems und führen zu immer neuen Ergebnissen.

Am Atominstitut der TU Wien haben Quantenphysiker nun ein weiteres quantenmechanisches Phänomen bewiesen, das der von der makroskopischen Welt geprägten Erfahrung des Menschen grundsätzlich entgegenläuft. Yuji Hasegawa, Leiter einer Forschungsgruppe für experimentelle Quantenphysik, hat mit seinen Kollegen ein System geschaffen, in dem Teilchen von ihren Eigenschaften getrennt werden.

In einem Neutronenstrahl, der auf zwei Teile aufgeteilt wird, nehmen die Teilchen den einen Weg, ihr magnetisches Moment, ihr Spin, kann aber im anderen Weg nachgewiesen werden, erklärt Hasegawa, der mit Tobias Denkmayr, Hermann Geppert und Stephan Sponar in der Wiener Gruppe an dem Versuch arbeitete.

In ihrer Arbeit, die am Dienstag im Fachjournal "Nature Communications" erschien, vergleichen die Wissenschafter das Phänomen mit der Grinsekatze aus Lewis Carolls Alice in Wunderland. Die Grinsekatze in Alices Fantasiereich kann verschwinden. Ihre Eigenschaft, das Grinsen, bleibt aber bekanntlich zurück.

Traditionsreiche Neutroneninterferometrie

Experimente in den Bereichen Quantenkommunikation und -informationsverarbeitung arbeiten zumeist mit masselosen Lichtteilchen. Die Quanten-Grinsekatze von Hasegawa und Kollegen wurde dagegen mit Hilfe der Interferometrie massiver Teilchen – Neutronen – nachgewiesen. Die Neutroneninterferometrie hat am Wiener Atominstitut, wo sie in den 1970er-Jahren mithilfe des Versuchsreaktors im Prater entwickelt wurde, große Tradition.

Die Methode lässt experimentell nachvollziehen, dass sich Teilchen den Gesetzen der Quantenphysik entsprechend in einer Überlagerung unterschiedlicher Zustände befinden können. – Was an eine berühmte Artgenossin der Quanten-Grinsekatze erinnert: Schrödingers Katze, die durch eine Überlagerung der Zustände zugleich tot und lebendig ist.

In einem Neutroneninterferometer wird ein Strahl von Neutronen durch einen Silizium-Kristall in zwei Strahlen aufgeteilt. Neutronen weisen keine elektrische Ladung auf, haben dafür aber ein magnetisches Moment. In dem Versuch wird dieser Spin der Neutronen so manipuliert, dass er in einem oberen Strahl in Flugrichtung zeigt, im unteren aber in die gegenläufige Richtung. Durch die einige Zentimeter voneinander getrennten Strahlen bewegen sich einige hundert Neutronen pro Sekunde, erklärt Hasegawa. Wenn man im unteren Pfad einen Filter einbaut, der einen geringen Anteil der Neutronen verschluckt, dann bleibt die Anzahl der am Ende gemessenen Neutronen mit Spin in Flugrichtung gleich. Baut man den Filter oben ein, sinkt die Zahl dieser Neutronen.

Allerdings kann man auch nur den Spin der Neutronen messen, in dem man ihn durch ein Magnetfeld leicht verändert, und die Auswirkungen beobachtet, die nach einer Überlagerung der Strahlen entstehen. Und siehe da: Der magnetische Einfluss, der den vorwärtsgerichteten Spin verändern soll, hat am oberen Strahl keine Auswirkungen. Am unteren Strahl, dort wo sich eigentlich keine Neutronen mit Vorwärts-Spin aufhalten, löst das Magnetfeld aber eine Veränderung aus. Das System verhält sich also so, als wären Teilchen räumlich von ihren Eigenschaften getrennt.

Anwendung bei hochpräzisen Messungen

Eine Anwendung könnte die Quanten-Grinsekatze bei hochpräzisen Messungen finden, die auf dem Prinzip der Quantenüberlagerung beruhen. "Wenn ein Quantensystem eine Eigenschaft hat, die man messen will, und eine andere, die das System anfällig gegen Störungen macht, kann man mit einer Quanten-Grinsekatze beides trennen und so möglicherweise die Beeinträchtigung des Experiments durch die Störung minimieren", erklärt Stephan Sponar aus Hasegawas Gruppe.

Das Experiment wurde an der Neutronenquelle des Instituts Laue-Langevin in Grenoble durchgeführt, wo die Wiener Forscher eine eigene Messstation betreiben, an der sie mehrmals im Jahr Experimente durchführen. Der Versuch stellt den ersten experimentellen Nachweis einer Theorie dar, die von Yakir Aharonov und dessen Team an der Universität Tel Aviv vorgeschlagen wurde. (pum, DER STANDARD, 30.7.2014)