"Das Evangelium durch die soziale Tat verkünden" war das Motto der politischen Arbeit von Hildegard Burjan.

Foto: Caritas Socialis

Die christlichsoziale Partei war nicht das Umfeld, in dem man als Jude leicht Karriere machen konnte: Vor dem Ersten Weltkrieg hatte vor allem die Wiener Parteiorganisation unter Karl Lueger scharfe antisemitische Töne angeschlagen. Und in den Jahren danach, als gerade die Wiener Landespartei in der Reichs- und späteren Bundeshauptstadt von politischem Fehler zu politischem Fehler stolperte, wurde es nicht besser. Die Fehler der Partei sind in dem Band Die Wiener Christlichsoziale Partei 1910 bis 1934 (kürzlich bei Böhlau erschienen) penibel aufgelistet - die Verdienste auch.

Zu diesen Verdiensten gehörte es, die politische Karriere von Hildegard Burjan ermöglicht zu haben. "Ihr Handeln innerhalb der Christlichsozialen blieb nur eine Episode. Trotzdem erscheint es notwendig, sie im Kontext der Partei zu nennen", schreibt Parteihistoriker Markus Benesch.

Promotion magna cum laude

Hildegard Freund wurde 1883 in einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie in Görlitz an der Neisse geboren, studierte in Zürich Literatur und Philosophie, promovierte 1908 mit magna cum laude zum Dr. phil. und studierte dann in Berlin Sozialwissenschaft. Da war sie bereits (seit 1907) mit dem Ungarn Alexander Burjan verheiratet, mit dem sie nach Wien zog. Als sie wegen einer lebensbedrohenden Erkrankung die Pflege der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus brauchte, dankte sie Gott für ihre wunderbare Genesung, indem sie zum katholischen Glauben konvertierte und sich fortan Werken der christlichen Nächstenliebe widmete.

"Verein der christlichen Heimarbeiterinnen"

Im Jahr 1912 gründete sie in Wien den "Verein der christlichen Heimarbeiterinnen", um den Textilarbeiterinnen, die bei einem 15-Stunden-Tag nur zwölf Kronen verdienten, eine Stimme zu geben und deren Produktion genossenschaftlich zu organisieren. Die Mitglieder erhielten Wöchnerinnenschutz, Unterstützung im Krankheits- und Sterbefall, Rechtsschutz sowie Fortbildungsmöglichkeiten und Schulungen.

Politisch kämpfte Burjan gegen die in der Monarchie wiederum vor allem in der Textilproduktion verbreitete Kinderarbeit. Ihre Forderung nach "gleichem Lohn für gleiche Arbeit" ist bis heute noch nicht überall durchgesetzt. Ihr rhetorisches Talent - sie galt als die engagierteste Rednerin für Frauenrechte im konservativen Lager - und ihre Organisationsarbeit ließen die gebürtige Jüdin für die Christlichsozialen unverzichtbar werden.

"Politische Begabung und Fingerspitzengefühl"

So war es naheliegend, sie im Dezember 1918 in den provisorischen (und nicht gewählten) Wiener Gemeinderat zu entsenden. Prälat Ignaz Seipel, der spätere Bundeskanzler, nominierte sie 1919 auf ein Mandat des 6. Wiener Wahlkreises (Penzing, Hietzing, Meidling) für die Konstituierende Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich: "Ich habe keinen Mann mit ausgeprägterer politischer Begabung, mit feinerem Fingerspitzengefühl gesehen als diese Frau."

Burjan war in dieser schweren und von politischer Orientierungslosigkeit geprägten Nachkriegszeit eine wichtige Kontaktperson in der parlamentarischen Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie.

Als jedoch im Juni 1920 die Koalition zerbrach, entschied sie sich, nicht mehr zu kandidieren - offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Mitentscheidend war ihre Ablehnung des Klubzwangs wohl aber auch, dass die Wiener Christlichsoziale Partei im Wahlkampf wieder starke antisemitische Töne angeschlagen hat.

Gründerin der Caritas Socialis

Burjan widmete sich fortan wieder mehr der Sozialarbeit, die sie als eine Form der Verkündigung des Evangeliums empfand: Schon am 4. Oktober 1919 hatte sie die religiöse Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (CS) ins Leben gerufen, die die Betreuung von schwer erziehbaren Jugendlichen und aufgegriffenen Prostituierten übernahm und 1924 das erste Mutter-Kind-Heim eröffnete - was in der Kirche umstritten war, weil dadurch angeblich "nur die Unmoral gefördert" würde. Diese Meinung hat die Kirche gründlich revidiert: 2012 wurde Burjan seliggesprochen, was nach dem Kirchenrecht erlaubt, Burjan im Gebet um Fürsprache bei Gott zu bitten. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 30.7.2014)