Hart an der Grenze des AKP-Männergeschmacks: Für die Herbstsaison des züchtigen türkischen Modehauses Armine lächeln nun zwei Kopftuch-Damen im Automobil fein von den Reklametafeln in Istanbul.

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Türkische Häuser haben im Allgemeinen keinen Keller – weder die Schnell-schnell-Bauten in den Großstädten noch die traditionellen, fast verschwundenen Istanbuler Holzhäuser (ahşap evleri) oder die Akseki-Häuser am Mittelmeer. Das ist etwas unglücklich, hat aber auch seinen Sinn, denn auf diese Weise haben die türkischen Frauen – geht es es nach der konservativ-islamischen Regierungspartei – nun wirklich keinen Ort, um ungesehen und ungehört einmal lachen zu können. Denn laut lachen ist unziemlich für eine Frau, hat Vizepremier und Regierungssprecher Bülent Arinç zu Wochenbeginn bei einer Eröffnungsfeier in Bursa erklärt.

Zur Beruhigung zwei Einschränkungen vorweg: Männer, die lachen, sind grundsätzlich okay; Türkei-Urlauberinnen, die zur Stunde am Strand liegen oder in einem Café sitzen, dürfen auch lachen, sofern sie aus dem christlichen Abendland kommen.

Für gläubige türkische Muslime aber stellt sich die Sache anders dar. Arinç, ein – ähnlich wie der noch amtierende Staatspräsident Abdullah Gül – im politischen Tagesgeschäft moderater, aber in Weltanschauungsdingen stramm konservativer Mann, zog in seiner Rede in Bursa vor allem den jungen Türken die Ohren lang: "iffet" brauchen Mann und Frau, übersetzt "Sittsamkeit" (oder Züchtigkeit, Tugendhaftigkeit, Keuschheit); der Koran müsse wiederentdeckt werden ("ein schönes Buch", "passt in jede Tasche"); Fernsehserien sollten nicht geschaut werden, die nur darauf abzielen, "13- bis 20-Jährige sexsüchtig" zu machen.

Herr Arinç, Jahrgang 1948, Bursa, im Wortlaut: "Sittsamkeit ist sehr wichtig. Es ist nicht nur ein Wort. Für die Frau ist sie eine Zier. Auch für den Mann. Er soll kein Schürzenjäger sein, er soll seiner Frau treu sein, seine Kinder lieben. Auch die Frau soll keusch sein. Sie soll wissen, was verboten und was statthaft ist. Sie sollte nicht vor jedermann laut Lachen. Sie soll in allem ihrem Auftreten nicht aufreizend sein, sie sollte ihre Sittsamkeit bewahren. Jetzt können einige Leute sagen: Was für eine Sprache spricht dieser Mann? So weit haben wir uns heute schon von unseren Werten entfremdet."

Arinçs letzter Satz zeigt, dass er sehr genau wusste, welche Provokationen er für den liberalen Teil der türkischen Gesellschaft vom Stapel ließ. Weil Wahlkampf ist, verfolgt die Moritat des Regierungspolitikers auch ein Kalkül: die konservativ-frommen Wähler im Land hinter den Premier und Präsidentenkandidaten Tayyip Erdogan zu scharen. Erdogan und seine AKP bekommen keine absolute Mehrheit, wie die Wahlen der vergangenen Jahre zeigten; doch wenn sie mehr Wähler mobilisieren als die Opposition, kann Erdogan am 10. August der Sprung über die 50-Prozent-Marke gelingen.

Sein Herausforderer, der ebenfalls politisch konservative, aber liberal gesonnene Ekmeleddin Ihsanoglu hat rasch auf das Lachverbot reagiert: "Unser Land braucht sehr das Lächeln unserer Frauen und den Klang von fröhlichem Lachen", twitterte der Präsidentenkandidat von CHP und MHP. Unter #direnkahkaha (Widerstand-Gelächter) lachen Türkinnen seit gestern Bülent Arinç und der AKP ins Gesicht. (Markus Bernath, derStandard.at, 29.7.2014)