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Letztlich reine Rollenkonvention: Ildebrando D'Arcangelo (kniend rechts) als flatterhafter Herzensjäger Don Giovanni, neben ihm Luca Pisaroni als Leporello.

Foto: APA/EPA/FRANZ NEUMAYR

Salzburg – Bei Don Giovanni sieht Regisseur Sven-Eric Bechtolf keinerlei Therapie- und Analysebedarf. Um im rastlosen Sammler amouröser Treffer ein tiefenpsychologisches Studienobjekt zu erkennen, müsste er den Damenjäger als irgendwie menschliches Wesen begreifen. Für Bechtolf ist Giovanni indes ein jedweder Werteordnung enthobenes Begehren, in dessen Nähe alle Moralhüllen fallen, da Giovanni das unbewusste Sehnen seiner Opferumwelt ans Wahrheitslicht zerrt.

Nicht ohne Reiz dieser Gedanke in der Nachfolge von Sören Kierkegaard: Giovanni als kulturgeschichtlicher Archetypus, als pure Energie, als Prinzip. In einem Nobelhotel (Bühnenbild: Rolf Glittenberg) mit (für ein paar Stunden) zu mietenden Zimmern materialisiert sich "das Prinzip" dann allerdings in Form eines galanten Schmusebären, der notorisch Küsschen verteilt. Letztlich also als reine Rollenkonvention.

Ildebrando D'Arcangelo, der im "Ständchen" zeigt, dass er mit dynamischen Nuancen signifikante Probleme hat und dessen vokale Qualität sich denn auch etwas monoton im Expressiven erschöpft, ist vorwiegend galant. Weder Gefährlichkeit noch Kühle sind ihm gegeben. Nirgends abendtragende, intensive Abgründe. Giovanni glänzt nur, wenn Bechtolf, der versierte Situationsgestalter, die Szenen so elegant modelliert, dass die Harmlosigkeit der Hauptfigur in netter Situationskomik aufgeht.

Es passiert: Bei "Là ci darem la mano" umgarnt Giovanni Zerlina (tadellos, mit herrlichen Pianissimopassagen: Valentina Nafornita) und verschwindet mitten in der Anbandelung, um schon das nächste Abenteuer anzubahnen. Und wie ihn Leporello bei Donna Elvira (solide: Anett Fritsch) körpernah zu vertreten sucht, kann Giovanni nicht umhin zu "helfen". Der Trieb halt. Es machen sich plötzlich vier Hände daran, die Giovanni so verzweifelt Verzeihende gründlich zu trösten.

Der die Grenzsituation liebt

Giovannis Appetit, dessen Herzlosigkeit (oder zu großes Herz) wurden damit demonstriert. Und wie ihn am Ende des ersten Aktes der Chor der Erzürnten umzingelt, scheint er seine Ausweglosigkeit (profund) zu genießen, aus der ihn dann ein Teufelchen befreit. Ein Junkie an der Nadel der Grenzsituationen. Hier nähert sich die Arbeit von Bechtolf jedoch quasi teuflisch ihrem plattesten Kern: Er hatte die Idee, den Komtur zu erdolchen, indem Giovanni die Hand von Donna Anna (im zweiten Akt etwas besser, davor sehr forcierend: Lenneke Ruiten) zum tödlichen Stich führt; das hatte immerhin brutale Kühle.

Hatte das erotische Herumwälzen diverser Pärchen zumindest Ansätze von Figurenlebendigkeit, so wird zum Schluss nur noch grell zu Ende inszeniert: Nachdem er sein letztes Abendmahl eingenommen hat, wird Giovanni vom Komtur (intensiv: Tomasz Konieczny) durch Berührung erlegt. Und bevor das "Prinzip Giovanni" wieder aufersteht, umgibt ihn ein Grüppchen mit ihm wohl verwandter, rotgesichtiger Gehörnter. Ein Bild von grandioser Trivialität, das der Rest der soliden Inszenierung nicht verdient hat. Einer Inszenierung, in der Andrew Staples (als Don Ottavio) auf lyrische Qualitäten verwies (nur eine Note verrutschte) und Alessio Arduini einen passablen Masetto servierte. Vielleicht wäre es besser gewesen, eine Komödie in Szene zu setzen. Bei Leporello (tadellos: Luca Pisaroni) jedenfalls ist Bechtolf Leichtfüßiges gelungen.

Romantischer Klang

Dann jedoch hätte Christoph Eschenbach etwas heiterer agieren müssen. Von der Ouvertüre an kostet er Melancholisches aus, sucht Lyrik, wodurch die Philharmoniker ihren Klang entfalten dürfen. Und da sich das Orchester intensitätsmäßig bemüht, entsteht eine stimmungsvolle Assistenz mit dramatischen Akzenten.

Das wirkte besser als bei der vorjährigen "Così". Die romantisch schwelgenden Versuche, Tragik und Leichtigkeit zu einen, waren jedoch kaum an die Doppelbödigkeit der Partitur und der Bühnenereignisse gebunden. Im Orchestralen ist nichts Hintergründiges zu vernehmen, nichts, was auf ein Ausloten etwa der Seelenzustände hindeuten würde. Immerhin, der Tonfall des instrumentalen Ganzen hatte Konsequenz, während die Koordination mit den gesanglichen Vorgängen verbesserungswürdig scheint. Viel Applaus. Signifikant viele Buhs jedoch für Bechtolf. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 29.7.2014)