Wagner, Wagner, Wagner: Ironisch scheinen die Figuren des Dichterkomponisten auf die ständige Wiederholung seiner Werke auf dem Grünen Hügel zu reagieren. Reflexiv geht es auch ein paar Schritte weiter zu, wenn eine Ausstellung - sinnigerweise neben der klobigen Arno-Breker-Büste des Meisters - über die antisemitischen Züge in der Geschichte Bayreuths im Vorfeld und während des Dritten Reichs informieren.

Unten in der Stadt wird gerade die Villa Wahnfried zu einem modernen Museum umgebaut. Der Gegensatz zwischen dem festen Bestand eines überaus engen Repertoires und dem Versuch, einen Bezug zur Gegenwart zu finden, heißt auch im Festspielhaus jahraus, jahrein die selbstgestellte Aufgabe, deren (Er-)Lösung mal ferner, mal näher erscheint.

Nach der neuen Ring-Produktion im Vorjahr gibt es heuer keine Neuinszenierung - gerade dadurch lässt sich der Zustand der Veranstaltung trefflich studieren. Die Produktionen der zwei ersten romantischen Opern des Repertoires, beide wenige Jahre alt, sind einander bei aller Verschiedenheit der Interpretationsansätze erstaunlich ähnlich. Sowohl die Tannhäuser-Inszenierung von Sebastian Baumgarten als auch die Holländer-Regie von Jan Philipp Gloger entwerfen geschlossene Systeme: erstere in Form einer Biogasanlage, Letztere als Datenhighway samt angehängter Ventilatorenfabrik.

Beide suchen ihr Heil in der Ironisierung. In beiden wirken die Figuren wie Fremdkörper, die im einen Fall Theater zu spielen vorgeben, im anderen archaische Schmutzspuren in eine sterile Welt bringen. Warum sie dies tun, geht aus beiden Arbeiten nicht hervor. Während Baumgarten seinen Zugang intellektualistisch überfrachtet hat, doch nur einen Bruchteil seiner Intentionen auch sichtbar zu machen vermag, ist Gloger gerade eine gedankliche Überfrachtung der Bühnenvorgänge nicht zum Vorwurf zu machen. Doch dass er eine geistige Durchdringung der Handlung erkennen ließe, könnte man ebenfalls kaum behaupten. So bleibt selbst die vorgeführte Spießigkeit der Seeleute und Fabriksarbeiter ihrerseits bei ihm kreuzbrav.

Womit wir bei der Musik wären: Bestünde Bayreuth nur aus den Klängen aus dem Graben und aus den Kehlen, dann wäre diese Welt heuer bis dato schwer in Ordnung. Ob der Jubel für Christian Thielemann nach dem Fliegenden Holländer auch bei einem anonymen Dirigat gleich stark ausgefallen wäre, darf allerdings bezweifelt werden. Der amtierende deutsche Nationalkapellmeister schien eher Dienst nach Vorschrift zu machen - was nicht heißt, dass er bei den Vortragsanweisungen Wagners immer der Genaueste wäre. Thielemann lieferte nur ansatzweise seinen typischen, bis zum Rauschhaften reichenden Schwung, verursachte aber auch einige empfindliche Wackler und bei den kantablen Orchesterpassagen beinahe buchstabierenden Stillstand: Bis auf seinen Drang zum Drängenden bot er im Grunde nichts Besonderes.

Von ganz anderer Art tags zuvor die Annäherung an den Tannhäuser von Axel Kober: voller Transparenz und klanglicher Tiefenschärfe, Leichtigkeit und elegant abgefedertem Pathos. Und das Orchester, wesentlich besser disponiert als noch vor wenigen Jahren, wirkte wesentlich homogener als beim berühmten Kollegen. Auch sängerisch waren die Reihen geschlossener als in früheren Spielzeiten, die Stimmen auf die Charaktere besser abgestimmt.

Schwangere Venus

Beim Tannhäuser war Torsten Kerl eine zwar geplagte, aber ungeheuer wandlungsfähige Titelgestalt von vokaler Drastik mit einem kaum je so gehörten Höhepunkt in der Romerzählung, als er der Stimme des Papstes gespenstische Züge gab. Markus Eiche war ein kraftvoller, etwas brachialer Wolfram, der erst den Abendstern betörend besang, Camilla Nylund eine stimmlich flackernde Elisabeth, während Michelle Breedt als Venus nicht nur wegen des Regieeinfalls der Schwangerschaft die bislang rundeste Leistung unter den Damen bot. Souverän schwebte Kwangchul Youn (Landgraf) über den Wassern.

Derselbe Sänger verlieh auch im Holländer dem Daland markante Gestalt: Durch mimische Präsenz ebenso wie durch seine modulationsfähige Stimme war er auch hier der ruhende Pol. Als Steuermann hat Benjamin Bruns nochmals neue Höhen und Schlagkraft entwickelt, als Senta setzte Ricarda Merbeth auf Dramatik und die Flucht nach vorne. Patent war der Holländer von Samuel Youn, der sein Leiden mit durchwegs leidenschaftlichen Tönen illustrierte. Doch weder der Widerspruch nach der Eröffnungspremiere noch der Jubel am zweiten Abend konnte verbergen, dass Wagners Werk wie diesem ewigen Wiedergänger erst nach langen Strapazen Erlösung winkt. In Bayreuth bleibt sie vorerst aus. (Daniel Ender, DER STANDARD, 28.7.2014)